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Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde

Titel: Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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nicht sicher, ebenso gut hätte es auch ein Sack voller Knochen sein können. Sie war sich auch nicht sicher, ob sie die Augen geöffnet hatte, denn die Dunkelheit war vollkommen. Erst als ihr ein spitzer Gegenstand in den unteren Rücken stach, ein weiterer Schmerz in einer Welt der Schmerzen, wusste sie, dass sie noch nicht tot war.
    Was geschah mit ihr?
    »Stehen bleiben. Polizei!«
    Nele!
    Es war ihre Stimme. Ganz bestimmt. Nele war da, um sie zu retten!
    Aber die Worte waren stark gefiltert zu ihr gedrungen, so als hätten sie eine massive Barriere überwinden müssen, an der Nele selbst vielleicht scheitern würde.
    Anou wusste instinktiv, dass sie nicht allein auf Neles Hilfe vertrauen durfte. Karel schleifte sie unnachgiebig hinter sich her, und wenn sie nichts dagegen unternahm, würde er mit ihr in den Tiefen der Erde verschwinden, ehe Nele sie finden konnte.
    Woher nahm ein geschundener Körper Kraft, wenn doch keine mehr in ihm war? War er in der Lage, sie aus der
äußeren Welt zu absorbieren? Hatte ein weiser Gott diese kleine Fähigkeit eingebaut für den Fall, dass alle anderen Stricke rissen? Oder war es, wie in einem Raum voll mit explosivem Gas, ein einziger Funke, der alles in Gang setzte? In ihrem Fall Neles Stimme. Die Stimme der Zukunft, des Lebens, der Liebe.
    Egal. Die Kraft war da.
    Nicht viel, aber sie würde reichen.
    Anou tastete mit der Hand ihres unverletzten Arms in die Dunkelheit. Irgendwo musste es doch etwas geben, woran sie sich festhalten konnte! Eine Kante, ein Loch, ein Rahmen, irgendwas.
    Sie spürte ihre Fingernägel brechen.
    Ein unangenehmes Gefühl, jedoch keine Schmerzen. Schmerzen waren unwichtig geworden.
    Da!
    Ein Riss im Beton.
    Anou griff zu. Packte die Kante so fest sie nur konnte. Ein heftiger Ruck ging durch ihren Körper. Plötzlich war die Klammer an ihrem Handgelenk verschwunden, und der taube, nutzlose Arm klatschte zu Boden. Gleichzeitig konzentrierte Anou sich auf ihre Stimme und brüllte so laut sie konnte den einen Namen.
    »Nele!«
    In ihrem Kopf klang es wie das Dröhnen einer Panzerkanone, in Wahrheit aber war es nur ein kläglicher Schrei, der sich in den Windungen des unterirdischen Gewölbes zu verlieren drohte.
    Von irgendwoher drang Licht herein.
    Gleichzeitig stieß etwas hart gegen Anous Kopf.
    Dann blitzte und donnerte es, grell und ohrenbetäubend.
    Erneut tauchte roter Nebel auf, bettete sie wie in Watte,
trug jeden Gedanken fort in andere Sphären und erlaubte ihr endlich, in tiefen, tiefen Schlaf zu fallen.
     
    Die Hölle!
    Das ist die Hölle!
    Nele, die eigentlich nichts von Mystifizierungen hielt, schoss jäh dieser Gedanke durch den Kopf, und sie stellte ihn nicht für eine Sekunde in Frage. Sie stürmte aus der dunklen, engen Röhre, und vor ihr öffnete sich ein Raum, nein, eine Halle, deren Ausdehnungen sie wegen der Dunkelheit nicht abschätzen konnte. Das spärliche Licht kam von ein paar Kerzen.
    Nele stoppte aus vollem Lauf, streckte die Waffe nach vorn und zielte über den Lichtstrahl ihrer Stablampe. Ihr Herz raste, sie konnte den Schussarm kaum ruhig halten.
    Ein langer Tisch lag umgestürzt, davor Werkzeuge und Messer auf dem Boden, scharfes Metall blitzte auf im Licht der Kerzen. Ketten hingen von der Decke, dort drüben ein Stapel Matratzen mit grauen Decken darauf, daneben ein Gully im Boden, umgeben von dunkler, eingesickerter Flüssigkeit, die wohl keine Farbe war. Hastig schwenkte Nele den Arm mit der Waffe von links nach rechts, spähte dabei über den kurzen Lauf, suchte ein Ziel, fand jedoch keines. Wo waren die Personen, die geschrien hatten? Wo war Anou? Tim?
    Zwei Sekunden später tauchte Hendrik hinter ihr auf. Er richtete den Lichtstrahl seiner Stablampe in die Mitte der unterirdischen Halle und gab ein merkwürdiges, würgendes Geräusch von sich.
    »Mein Gott!«, stieß er aus.
    Im scharf umrissenen Lichtkreis seiner Lampe lag auf dem Boden ein gewaltiger Dildo, der an einem Ledergeschirr
befestigt war. Nele sah ihn, schloss die Augen und biss sich auf die Lippe, bis sie Blut schmeckte. Hoffentlich nicht , dachte sie , hoffentlich nicht !
    Plötzlich ein Geräusch!
    Von irgendwo aus der Dunkelheit, eine metallene Tür, die zufiel.
    »Stehen bleiben, Polizei!«, brüllte Nele und lief blindlings los.
    Sie war sich wegen des Echos nicht sicher, meinte aber, das Geräusch wäre von der anderen Seite der Halle gekommen. Dorthin lief sie, den Blick nur auf die Dunkelheit vor sich gerichtet, und stolperte über etwas

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