Tief
Handflächen wurden feucht vor Erregung, und er wischte sie an den Hosenbeinen ab.
Er fand zwar keine Erleichterung, aber immerhin Ablenkung. Mit gierigem professionellem Interesse sah er sich die Fernsehberichte an und machte sich Notizen. Seine Haut prickelte vor Erregung. Es steckt so viel Geld darin, sagte er sich. So viel Geld …
Stundenlang sah er fern. Kurz nach Mitternacht wurde verkündet, dass Komitees gebildet worden waren: ein kleines Wal-Krisenkoordinationsteam und ein größeres Notfallkomitee. Das kleine Team bestand aus Wal-Experten, die sich um die gestrandeten Wale kümmern und erforschen sollten, warum sie das Meer verlassen hatten. Das größere Komitee bestand hauptsächlich aus Vertretern der lokalen Behörden und der Notfalldienste, die die notwendigen Maßnahmen sichern sollten, falls das Koordinationsteam Rettungspläne entwickelte.
Um zwei Uhr morgens wurde verkündet, das Wal-Krisenkoordinationsteam würde von Dr. Roderick Ormond geleitet, und er habe Dr. Derek Petersen und Ms Kamala Mohandhas als weitere Mitglieder berufen. Rattigans Augen weiteten sich verwundert; seine Idee war nur erfolgreich, wenn absolut jeder, der für die Wale verantwortlich war, vernichtet würde. Er hielt kurz inne, um sich einen ruinierten, verzweifelten Roddy Ormond vorzustellen – eine äußerst befriedigende Fantasie, zumal er davon überzeugt war, dass seine Frau den Mann auch nach so vielen Jahren noch liebte.
Bevor er nach oben ging, rief er einen seiner Mittelsmänner an und wies ihn an, mit Tokio zu telefonieren; er finanzierte dort ein Unternehmen, das ihm sehr nützlich sein konnte. Dann raffte er sich auf und ging ins Schlafzimmer zu seiner Frau.
* * *
Theresa lag im Bett. Als sie sich hingelegt hatte, war sie ganz benommen gewesen; Erinnerungen an Roddy hatten sie überwältigt. Im Geiste sah sie ihn wie auf alten Fotos: schlafend auf einem Schaukelstuhl, in der Küche, wo er stolz neben einem ungenießbaren Eintopf stand, im Bett, die Decke bis an die Augen hochgezogen. Und sie sah ihn bei ihrer letzten Begegnung vor sich, als sie ihn gebeten hatte, ihr Freund zu sein. Aber er hatte den Kopf geschüttelt und gesagt, dass er dazu leider nicht die Kraft hätte. Und dann war er aus ihrem Leben verschwunden.
Unruhig wälzte sie sich hin und her. Der Cocktail an Antidepressiva, den sie genommen hatte, versetzte sie in einen unangenehmen Bewusstseinszustand. Vielleicht hatte sie auch ein wenig Fieber. Als Ally ihr in den Sinn kam, begann sie zu schluchzen, ohne es zu merken. Ich wollte dich doch nur schützen, sagte sie sich. Wie hieß der Junge noch mal? John. Don. Dave. Ein netter Junge, ein dummer Junge. Der Himmel wusste, was Tony mit ihm angestellt hätte, wenn er es herausgefunden hätte. Ally, du weißt nichts von solchen Dingen, du weißt gar nichts. Ich habe dich verloren.
Die Tür öffnete sich und das Licht ging an.
»Ich habe dir doch gesagt, du sollst das rosa Ding anziehen«, sagte er grimmig.
»Ich habe es vergessen«, flüsterte Theresa erschrocken. Sie kauerte sich zusammen, als er auf das Bett zukam.
9
Es war halb fünf Uhr morgens. Der fast volle Mond hing über achtundsiebzig bewegungslosen Walen. Das Licht glitzerte kalt und blau auf den glatten, dunklen Leibern. Am Strand war es still, und man hörte nur das Rauschen des Meers und das Einatmen der Tiere. Die Menschenmenge war auf ein Viertel geschrumpft, und die Polizei hatte die Gelegenheit wahrgenommen, um sie ein paar Hundert Meter weiter zurückzudrängen. Helikopter, die bis vor Kurzem über den Walen ihre Kreise gezogen hatten, um Luftaufnahmen zu machen, waren per Gerichtsbeschluss weggeschickt worden, und auch die Fernsehteams, die die Szene in ein gespenstisches künstliches Licht getaucht hatten, waren schließlich einsichtig geworden, nachdem ein brasilianisches Filmteam verhaftet worden war.
Roddy und sein alter Freund Derek Petersen standen nebeneinander vor den Walen. Die beiden Männer warteten auf die Tierärztin Kamala Mohandhas, die die Tiere untersuchte. Derek war gerade erst angekommen. Schweigend starrte er auf die Wale. Er stand breitbeinig, mit den Händen auf dem Rücken, da und wirkte eher wie ein Seemann, der prüfend aufs Meer blickt. Sein sorgfältig gestutzter weißer Bart verstärkte diesen Eindruck noch. Derek war Mitte fünfzig. Er war Roddys Doktorvater gewesen und hatte seinen Studenten vor zwanzig Jahren als »äußerst begabt und sehr schlampig« bezeichnet. Sie waren eng
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