Tiefe Sehnsucht - stärker als alle Vernunft
würde es so führen, wie sie es für richtig hielt. Wenn die beiden nicht mehr investieren wollten, dann eben nicht. Das war ihr Problem und auch ihr Verlust. Ganz sicher gab es andere Menschen, die einem blühenden Unternehmen wie dem Jarrod Ridge gern ihr Geld zur Verfügung stellen würden, weil sie wussten, dass sie daran verdienen konnten. Und wenn nicht, die Jarrods würden es auch allein schaffen.
Wenn es nur ebenso einfach wäre, die Gefühle für einen Menschen zu ändern wie die Einstellung einem Problem gegenüber. Aber sie liebte Shane von ganzem Herzen und befürchtete, dass sich daran nie etwas ändern würde.
„Kaktus, dies ist der mieseste Hackbraten, den ich je in meinem Leben gegessen habe“, fluchte Shane schlecht gelaunt und schob den Teller zur Seite. Dabei wusste er genau, dass es ihm auch nicht geschmeckt hätte, wenn der berühmteste Sternekoch etwas für ihn gezaubert hätte. Er hatte einfach keinen Appetit und an allem und jedem etwas auszusetzen.
„Vor drei Tagen habt ihr euch getrennt, und deine Laune ist noch schlimmer als am ersten Tag, als du mir sagtest, dass sie nicht mehr auf die Ranch kommen würde“, brummelte der alte Mann vor sich hin, während er die Teller abräumte.
Shane seufzte leise. In den letzten Tagen war er wirklich unausstehlich gewesen, Kaktus hatte recht. Es wollte ihm einfach nicht gelingen, seine miese Stimmung zu überwinden. Er hatte keinen Appetit, konnte nicht schlafen und hatte zu nichts Lust. Seit er Melissa verlassen hatte, fühlte er sich emotional wie versteinert. Dennoch hätte er seine schlechte Laune nicht an Kaktus auslassen sollen. „Es tut mir leid, dass ich in letzter Zeit etwas gereizt war.“
„Etwas gereizt?“, fragte Kaktus empört. „Da benimmt sich ja ein bis aufs Blut gereizter Grizzlybär besser als du.“
„Ich weiß, und es tut mir auch sehr leid.“
„Kann sein, nützt aber nichts. Wissen und etwas dagegen tun sind zwei verschiedene Dinge.“ Wütend stellte Kaktus das Geschirr so schwungvoll in die Spüle, dass es laut klirrte. Dann drehte er sich um und richtete seinen Holzlöffel drohend auf Shane. „Wenn es dir so elend geht, dann solltest du schleunigst zurück in die Stadt fahren, um zu sehen, ob da noch was zu retten ist.“
„So einfach ist das nicht.“
„Und warum nicht?“
Wie sollte er ihm das erklären? Für Kaktus gab es nur Schwarz oder Weiß und nichts dazwischen. Wenn etwas nicht in Ordnung war, musste man etwas dagegen tun. So einfach war das seiner Meinung nach. Aber manches ließ sich eben nicht so problemlos aus der Welt schaffen. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass Lissa mir gar nicht erst die Tür aufmachen würde.“
„Dann musst du sie eben irgendwo außerhalb des Hauses erwischen. Und sie dazu bringen, dass sie dich anhört. Und wenn du dafür auf die Knie fallen und sie um Verzeihung bitten musst.“
Wieso? Wie kam der alte Mann denn darauf, dass er, Shane, im Unrecht war? Er hatte ihm schließlich nur erzählt, dass die Hochzeit abgeblasen sei und Lissa nicht mehr zur Ranch kommen würde. „Wie kommst du denn auf die Idee, dass das Ganze meine Schuld ist?“
„In der Vorstellung der Frauen haben immer die Männer Schuld, egal, wer den Bruch verursacht hat. So sind sie nun mal“, meinte Kaktus augenzwinkernd.
„Ich werde das beherzigen.“ Shane sprang auf und verließ die Küche. Er brauchte sich Kaktus’ Weisheiten nicht länger anzuhören, denn er wusste selbst, wer an ihrem Zerwürfnis schuld war, auch wenn er sich die letzten drei Tage vom Gegenteil hatte überzeugen wollen. Im Arbeitszimmer setzte er sich vor sein Reißbrett und starrte auf die unvollendete Zeichnung. Dass er in den letzten drei Tagen nicht fähig gewesen war, einen stimmigen Entwurf zu machen, sprach nicht gerade dafür, dass ihm außer seiner Arbeit nichts wichtig war.
Es wurde Zeit, dass er sich endlich eingestand, was hinter seiner Entscheidung stand, den Job bei Kurk anzunehmen. Er wollte fliehen, wollte einem Gefühl, einer Verantwortung, einer Lebensveränderung entkommen und wusste jetzt, dass das nicht möglich war. Welcher Mann gab schon gern zu, ein Feigling zu sein. Und dennoch musste er sich eingestehen, dass er schlicht und einfach Angst hatte. Angst vor diesem gewaltigen Gefühl, das Lissa in ihm auslöste. Er hatte sich in sie verliebt, er liebte sie. Und obwohl er immer das Schicksal seines Vaters, der von der geliebten Frau verlassen worden war, vor Augen hatte, konnte er nichts daran
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