Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tiefe Wunden

Titel: Tiefe Wunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
Vom Netzwerk:
knolligen Nase. Ein befehlsgewohnter Patriarch, der sich mit weiblicher Autorität schwertat.
    »Allerdings.« Sie präsentierte ihm ihren Ausweis. »Und wer sind Sie?«
    »Nowak, Manfred. Meim Sohn geheert die Ferma.«
    »Wer kümmert sich um die Geschäfte, solange Ihr Sohn das nicht tun kann?«, wollte Pia wissen. Nowak senior zuckte die Schultern.
    »Wir wissen, was wir tun müssen«, schaltete sich der junge Mann ein. »Wir brauchen nur das Werkzeug und die Autoschlüssel.«
    »Halt disch jetzemol zurick«, blaffte Nowak senior.
    »Das werd ich nicht!«, entgegnete der Jüngere hitzig. »Sie glauben wohl, Sie könnten Marcus jetzt endlich mal eins reinwürgen! Zu sagen haben Sie hier mal grad überhaupt nichts!«
    Nowak senior lief rot an. Er stemmte die Arme in die Seiten und öffnete schon den Mund zu einer heftigen Erwiderung.
    »Beruhigen Sie sich!«, sagte Pia. »Schließen Sie bitte die Tür auf. Dann möchte ich mich mit Ihnen und Ihrer Familie über die letzte Nacht unterhalten.«
    Nowak senior warf ihr einen feindseligen Blick zu, tat aber, was sie verlangt hatte.
    »Sie kommen mit«, bedeutete Pia dem jungen Mann.
    Im Büro herrschte völlige Verwüstung. Aktenordner waren aus den Regalen gerissen, Schubladen und ihr Inhaltlagen umgedreht auf dem Boden, der Computerbildschirm, Drucker, Fax und Kopierer waren zertrümmert, Schränke standen offen und waren durchwühlt.
    »Ach du liebe Scheiße«, entfuhr es dem Vorarbeiter.
    »Wo sind die Autoschlüssel?«, fragte Pia ihn. Er wies auf einen Schlüsselkasten links neben der Bürotür, und Pia gestattete ihm mit einer Geste, den Raum zu betreten. Als er alle benötigten Schlüssel an sich genommen hatte, folgte sie ihm einen Flur entlang durch eine schwere Sicherheitstür in die Werkshalle. Hier schien auf den ersten Blick alles in Ordnung zu sein, aber der junge Mann stieß einen unterdrückten Fluch aus.
    »Was ist?«, wollte Pia wissen.
    »Das Lager.« Der Mann zeigte auf eine weit geöffnete Tür auf der gegenüberliegenden Seite. Wenig später standen sie auch hier in einem Chaos von umgekippten Regalen und zerstörtem Material.
    »Wie haben Sie das eben eigentlich gemeint, als Sie sagten, Manfred Nowak könnte seinem Sohn jetzt endlich mal eins reinwürgen?«, erkundigte Pia sich bei Nowaks Vorarbeiter.
    »Der Alte hat tierisch Zorn auf den Marcus«, erklärte der junge Mann mit unverhohlener Abneigung. »Er hat’s ihm total übelgenommen, dass der damals nicht die Baufirma und die ganzen Schulden übernommen hat. Ich kann’s gut verstehen. Die Firma war pleite, weil jeder in die Kasse gegriffen hat und keiner Ahnung von Buchhaltung hatte. Der Marcus, der ist aus anderem Holz geschnitzt als der Rest von denen. Der ist echt clever, und er kann was. Es macht Spaß, mit ihm zu arbeiten.«
    »Arbeitet Herr Nowak bei seinem Sohn in der Firma?«
    »Nee, das wollte er nicht.« Der junge Mann schnaubte abfällig. »Genauso wenig wie dem Marcus seine beiden älteren Brüder. Die gehen lieber aufs Arbeitsamt.«
    »Seltsam, dass gestern Nacht niemand von der Familie etwas gehört haben will«, sagte Pia nun. »Das muss doch ein Höllenlärm gewesen sein.«
    »Vielleicht haben sie’s nicht hören wollen.« Der junge Mann schien von der ganzen Familie seines Chefs nicht viel zu halten. Sie verließen das Lager und gingen durch die Werkshallen zurück. Unvermittelt blieb der Vorarbeiter stehen.
    »Wie geht’s dem Chef wirklich?«, fragte er. »Sie haben eben gesagt, er würde für eine Weile im Krankenhaus bleiben. Stimmt das?«
    »Ich bin zwar keine Ärztin«, antwortete Pia, »aber so, wie ich es verstanden habe, ist er wohl ernsthaft verletzt. Er liegt in Hofheim im Krankenhaus. Kommen Sie vorübergehend ohne ihn aus?«
    »Ein paar Tage schon.« Der junge Mann zuckte die Achseln. »Aber Marcus ist an einem großen Auftrag dran. Da weiß nur er Bescheid. Und Ende der Woche ist da ein wichtiger Termin.«
     
    Die Familie von Marcus Nowak gab sich abweisend bis des interessiert. Niemand dachte daran, Pia ins Haus zu bitten, deshalb fand die Befragung vor der Eingangstür des großen Hauses statt, das direkt an das Firmengelände grenzte. Einen Steinwurf entfernt stand ein kleines Häuschen inmitten eines gepflegten Gärtchens. Pia erfuhr, dass dort Nowaks Großmutter wohnte. Manfred Nowak antwortete wie selbstverständlich auf jede Frage, die Pia stellte, ungeachtet dessen, an wen sie gerichtet war. Einmütiges, wenn auch gleichgültiges Kopfnicken

Weitere Kostenlose Bücher