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Tiefe Wunden

Titel: Tiefe Wunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Blick auf die Karte.
    »Sie sind Immobilienmaklerin?«, fragte sie misstrauisch. »Sie sagten doch, Sie wären von der Kripo.«
    Pia nahm ihr die Visitenkarte aus der Hand und stellte fest, dass es sich dabei um die handelte, die ihr der Makler am Samstag gegeben hatte.
    »Entschuldigung.« Sie zog die richtige Karte aus der Tasche. »Können Sie heute Nachmittag gegen drei aufs Kommissariat kommen?«
    »Natürlich.« Christina Nowak gelang ein zittriges Lächeln. Sie sah noch einmal zu ihrem schweigenden Ehemann hinüber, biss sich auf die Lippen und ging hinaus. Die alte Frau, die ebenfalls die ganze Zeit keinen Ton gesagt hatte, folgte ihr. Erst jetzt wandte Pia sich dem Verletzten zu. Marcus Nowak lag auf dem Rücken, ein Schlauch steckte in seiner Nase, ein anderer in seiner Armbeuge. Sein geschwollenes Gesicht war von Blutergüssen entstellt. Über dem linken Auge befand sich eine Naht, eine zweite zog sich vom linken Ohr bis fast zum Kinn. Der rechte Arm lag in einer Schiene, sein Oberkörper und die verletzte Hand waren dick bandagiert. Pia setzte sichauf den Stuhl, auf dem vorhin die alte Frau gesessen hatte, und rückte ihn ein Stück näher an das Bett.
    »Hallo, Herr Nowak«, sagte sie. »Mein Name ist Pia Kirchhoff von der Kripo Hofheim. Ich werde Sie nicht lange behelligen, aber ich muss wissen, was gestern Nacht passiert ist. Können Sie sich an den Überfall erinnern?«
    Der Mann öffnete mühsam die Augen, seine Lider flatterten. Er schüttelte leicht den Kopf.
    »Man hat Sie schwer verletzt.« Pia beugte sich vor. »Mit ein bisschen weniger Glück würden Sie jetzt nicht hier im Bett, sondern in einem Kühlfach im Leichenschauhaus liegen.«
    Schweigen.
    »Haben Sie jemanden erkannt? Weshalb wurden Sie über fallen?«
    »Ich ... ich kann mich an nichts erinnern«, murmelte Nowak undeutlich. Das war immer eine gute Ausrede. Pia ahnte, dass der Mann sehr genau wusste, von wem und warum er krankenhausreif geschlagen worden war. Hatte er Angst? Einen anderen Grund für sein Schweigen konnte es kaum geben.
    »Ich will keine Anzeige erstatten«, sagte er leise.
    »Ist auch nicht nötig«, erwiderte Pia. »Gefährliche Körperverletzung ist ein Offizialdelikt und wird automatisch von der Staatsanwaltschaft verfolgt. Es wäre für uns deshalb sehr hilfreich, wenn Sie sich an irgendetwas erinnern könnten.«
    Er antwortete nicht und drehte den Kopf zur Seite.
    »Denken Sie in Ruhe darüber nach.« Pia stand auf. »Ich komme später noch mal vorbei. Gute Besserung.«
     
    Es war neun Uhr, als Kriminaldirektor Nierhoff mit unheilverkündender Miene in Bodensteins Büro rauschte, dicht gefolgt von Nicola Engel.
    »Was ... ist ... das! ?« Nierhoff pfefferte die aktuelle Ausgabeder Bildzeitung auf Bodensteins Schreibtisch und tippte mit dem Zeigefinger auf den halbseitigen Artikel auf Seite drei, als wolle er das Papier durchbohren. »Ich wünsche eine Erklärung, Bodenstein!«
    GRAUSAMER MORD AN RENTNERIN lautete die fette Schlagzeile. Wortlos ergriff Bodenstein die Zeitung und überflog den Rest des reißerisch formulierten Artikels. Vier Leichen innerhalb einer Woche, die Polizei ratlos und ohne heiße Spur, dafür mit einer offensichtlichen Lügengeschichte. Robert W., Neffe der bekannten Unternehmerin Vera Kaltensee und mutmaßlicher Mörder der Rentner David G. (92) und Herrmann S. (88) sowie seiner Lebensgefährtin Monika K. (26), ist noch immer verschwunden. Am Freitag hat der Serienmörder ein viertes Mal zugeschlagen und die gehbehinderte Rentnerin Anita F. (88) mit einem Genickschuss getötet. Die Polizei tappt im Dunkeln, gibt keine Informationen. Einzige Gemeinsamkeit: Alle Ermordeten standen in enger Beziehung zur Hofheimer Millionärin Vera Kaltensee, die nun auch um ihr Leben fürchten muss ...
    Die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen, aber Bodenstein zwang sich, den Artikel zu Ende zu lesen. Das Blut pochte ihm so sehr in den Schläfen, dass er keinen klaren Gedanken fassen konnte. Wer hatte diese verdrehte Geschichte an die Presse gegeben? Er blickte auf, direkt in die grauen Augen von Nicola Engel, die ihn spöttisch und abwartend musterte. Hatte sie die Presse informiert, um den Druck, der ohnehin schon auf ihm lastete, noch zu erhöhen?
    »Ich will wissen, wie diese Geschichte in die Presse kommt!« Kriminaldirektor Nierhoff versah jedes Wort mit einem Ausrufezeichen; er war so wütend, wie Bodenstein ihn zuvor nie erlebt hatte. Fürchtete er einen Gesichtsverlust vor seiner Nachfolgerin

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