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Tiefe Wunden

Titel: Tiefe Wunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Geräusche vernommen, war aufgestanden und hatte aus dem Fenster geschaut.
    »Ich schlafe seit Jahren nicht mehr gut«, erklärte die alte Frau. »Als ich aus dem Fenster geguckt habe, habe ich Licht in Marcus’ Büro gesehen, und das Hoftor stand offen. Vor dem Büro stand ein dunkles Auto, ein Transporter. Ich hatte ein ungutes Gefühl und bin hinausgegangen.«
    »Das war aber leichtsinnig von Ihnen«, bemerkte Pia. »Hatten Sie keine Angst?«
    Die alte Frau machte eine wegwerfende Handbewegung.
    »Ich habe vom Flur aus das Außenlicht eingeschaltet«, fuhr sie fort, »und als ich aus der Haustür kam, stiegen sie gerade in ihr Auto. Es waren drei. Sie fuhren direkt auf mich zu, als wollten sie mich überfahren, dabei haben sie einen der Betonkübel gerammt, die als Schutz vor dem Gartenzaunstehen. Ich wollte mir noch das Kennzeichen merken, aber sie hatten keins an ihrem Auto, diese Verbrecher.«
    »Kein Kennzeichen?« Pia, die sich Notizen gemacht hatte, blickte überrascht auf. Die alte Frau schüttelte den Kopf. »Was macht Ihr Enkelsohn beruflich?«
    »Er ist Restaurator«, erwiderte Auguste Nowak. »Er saniert und restauriert alte Gebäude. Seine Firma hat einen sehr guten Ruf, er hat viele Aufträge. Aber seit er Erfolg hat, ist er nicht mehr besonders beliebt.«
    »Wieso?«, fragte Pia nach.
    »Wie heißt es so schön«, die alte Frau schnaubte verächtlich, »Neid musst du dir erarbeiten, Mitleid bekommst du umsonst.«
    »Glauben Sie, dass Ihr Enkelsohn die Leute kannte, die ihn letzte Nacht überfallen haben?«
    »Nein«, Auguste Nowak schüttelte den Kopf, ihr Tonfall wurde bitter, »das glaube ich nicht. Von seinen Bekannten traut sich so was keiner.«
    Pia nickte.
    »Die Ärztin hält die Verletzungen für das Ergebnis einer Art Folter«, sagte sie. »Warum sollte jemand Ihren Enkelsohn foltern? Hat er etwas zu verbergen? Wurde er in der letzten Zeit bedroht?«
    Auguste Nowak blickte sie aufmerksam an. Sie mochte eine einfache Frau sein, aber sie war nicht schwer von Begriff. »Darüber weiß ich nichts«, wich sie aus.
    »Wer könnte es dann wissen? Seine Frau?«
    »Das glaube ich kaum.« Die Alte lächelte bitter. »Aber Sie können sie ja heute Nachmittag fragen, wenn sie von der Arbeit kommt. Die ist ihr ja wichtiger als ihr Mann.«
    Pia bemerkte den leichten Sarkasmus in ihrer Stimme. Sie erlebte es nicht zum ersten Mal, dass sich hinter der Fassade der Normalität eine abgrundtief zerstrittene Familie verbarg.
    »Und Sie wissen wirklich nichts darüber, ob Ihr Enkelsohn irgendwie in Schwierigkeiten steckt?«
    »Nein, tut mir leid.« Die alte Frau schüttelte bedauernd den Kopf. »Wenn er Probleme mit der Firma hätte, dann hätte er mir sicher davon erzählt.«
    Pia bedankte sich bei Auguste Nowak und bat sie, später für ein Protokoll aufs Kommissariat zu kommen. Dann bestellte sie ein Team der Spurensicherung nach Fischbach in die Firma von Marcus Nowak und machte sich auf den Weg zum Ort des Geschehens.
     
    Die Firma von Marcus Nowak lag am Ortsrand von Fischbach, direkt an einer für den öffentlichen Verkehr gesperrten Straße, die von Anwohnern gerne als nächtlicher Promilleweg benutzt wurde. Als Pia auf dem Betriebsgelände eintraf, fand sie Nowaks Mitarbeiter in einer heftigen Diskussion vor der verschlossenen Tür eines Anbaus, in dem sich wohl die Büros befanden.
    Pia hob ihren Ausweis. »Guten Morgen. Pia Kirchhoff, Kriminalpolizei.« Das Stimmengewirr verstummte.
    »Was ist denn hier los?«, erkundigte sie sich. »Gibt es Probleme?«
    »Wohl mehr als genug«, sagte ein junger Mann in einem karierten Wollhemd und blauer Arbeitshose. »Wir können nicht rein, dabei sind wir eh schon zu spät! Der Vater vom Chef hat gesagt, wir müssten warten, bis die Polizei hier ist.«
    Er wies mit einem Kopfnicken auf einen Mann, der mit großen Schritten über den Hof marschiert kam.
    »Die Polizei ist jetzt hier.« Pia war es ganz recht, dass nicht Dutzende von Leuten am Tatort herumgetrampelt waren, bevor die Spurensicherung ihre Arbeit tun konnte. »Ihr Chef wurde gestern Nacht überfallen. Er liegt im Krankenhaus und bleibt dort wohl noch eine Weile.«
    Das verschlug den Männern für einen Moment die Sprache.
    »Lasst misch emol dorsch!«, ertönte eine Stimme, und die Männer gehorchten sofort. » Sie sin die Polizei?«
    Der Mann musterte Pia misstrauisch von Kopf bis Fuß. Er war groß und stattlich, mit einer gesunden Gesichtsfarbe und einem akkurat getrimmten Schnauzer unter der

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