Tiefe Wunden
auf der Stirn. Das sah nicht aus, als ob er ein reines Gewissen hätte.
»Wir fragen uns deshalb«, fuhr Bodenstein fort, »wie weit Herr Nowak wohl zu gehen bereit war, um an sein Geld zu kommen.«
»Was ... was meinen Sie?« Der konfliktscheue Professor war mit der Situation überfordert.
»Hat Marcus Nowak Herrn Goldberg oder Herrn Schneider gekannt? Und vielleicht auch Frau Frings? Ein Auto mit einer Firmenaufschrift, wie Nowak sie in seinem Fuhrpark hat, wurde in der Nacht von Schneiders Ermordung gegen halb eins in dessen Hauseinfahrt gesehen. Herr Nowak hat für diesen Zeitraum kein echtes Alibi, denn er behauptet, zu Hause gewesen zu sein. Allein.«
»Gegen halb eins?«, wiederholte Elard Kaltensee.
»Nowak hat eine ganze Weile auf dem Mühlenhof gearbeitet«, sagte Pia. »Er kannte die drei und wusste, dass sie die engsten Freunde Ihrer Mutter waren. Für Sie mögen hundertsechzigtausend Euro nicht viel Geld sein, aber für Herrn Nowakist das ein Vermögen. Vielleicht dachte er sich, er könne Ihre Mutter unter Druck setzen, wenn er ihre Freunde tötet. Einen nach dem anderen, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen.«
Kaltensee starrte sie an, als habe sie den Verstand verloren. Er schüttelte heftig den Kopf.
»Aber das ist doch völlig absurd! Was glauben Sie denn von dem Mann? Marcus Nowak ist doch kein Killer! Und das alles ist kein Motiv für einen Mord!«
»Rache und Existenzangst sind sehr starke Mordmotive«, sagte Bodenstein. »Nur die wenigsten Morde werden tatsächlich von Killern verübt. Meistens sind es ganz normale Menschen, die keinen anderen Ausweg mehr sehen.«
»Marcus hat nie und nimmer jemanden erschossen!«, entgegnete Kaltensee überraschend heftig. »Ich frage mich wirklich, wie Sie auf so eine alberne Idee kommen!«
Marcus ? Das Verhältnis zwischen den beiden war wohl um einiges weniger flüchtig, als Kaltensee sie glauben machen wollte. Pia kam ein Gedanke. Sie erinnerte sich daran, mit welcher Gleichgültigkeit er vor ein paar Tagen auf die Nachricht vom Tod Herrmann Schneiders reagiert hatte. Möglicherweise deshalb, weil es für ihn überhaupt keine Neuigkeit gewesen war? War es denkbar, dass Kaltensee – ein wohlhabender, einflussreicher Mann – Nowak benutzt, ihn mit einem Millionenauftrag geködert und dafür als Gegenleistung drei Morde eingefordert hatte?
»Wir werden Nowaks Alibi in der Nacht des Mordes an Schneider überprüfen«, sagte Pia. »Und wir werden ihn auch fragen, wo er gewesen ist, als Goldberg und Frau Frings sterben mussten.«
»Sie liegen ganz sicher völlig falsch.« Kaltensees Stimme bebte. Pia betrachtete den Mann aufmerksam. Auch wenn er sich mittlerweile gut unter Kontrolle hatte, so war es dochnicht zu übersehen, wie aufgewühlt er war. Merkte er, dass sie ihm auf der Spur war?
Pias Handy summte, kaum dass sie das Krankenhaus verlassen hatte.
»Ich versuche seit einer Stunde, dich anzurufen.« Ostermann klang vorwurfsvoll.
»Wir waren im Krankenhaus.« Pia blieb stehen, während ihr Chef weiterging. »Da drin war kein Empfang. Was gibt’s?«
»Hör zu: Marcus Nowak wurde am 30. April um 23:45 Uhr von einer Polizeistreife in Fischbach kontrolliert. Er hatte keinen Führerschein und keinen Ausweis dabei und sollte beides am nächsten Tag bei den Kollegen in Kelkheim vorlegen. Das hat er allerdings bis heute nicht getan.«
»Ist ja interessant. Wo genau fand die Fahrzeugkontrolle statt?« Pia hörte, wie ihr Kollege auf der Tastatur seines Computers herumtippte.
»Grüner Weg, Ecke Kelkheimer Straße. Er fuhr einen VW-Passat, der auf seine Firma zugelassen ist.«
»Schneider wurde gegen ein Uhr morgens getötet«, über legte Pia laut. »Von Fischbach nach Eppenhain braucht man mit dem Auto ungefähr fünfzehn Minuten. Danke, Kai.«
Sie steckte ihr Handy ein und ging zu ihrem Chef, der schon sein Auto erreicht hatte und mit abwesender Miene vor sich hin starrte. Pia erzählte ihm, was sie von Ostermann erfahren hatte.
»Er hat also gelogen, was sein Alibi für die Tatzeit betrifft«, stellte sie fest. »Aber warum?«
»Warum sollte er Schneider ermorden?«, fragte Bodenstein zurück.
»Vielleicht auf Betreiben von Professor Kaltensee. Der hat Nowak einen großen Auftrag vermittelt und dafür eineGefälligkeit eingefordert. Oder vielleicht wollte Nowak Vera Kaltensee unter Druck setzen, indem er ihre besten Freunde ermordet hat. Und diese Zahl könnte auch ein Hinweis auf die Summe sein, die sie ihm schuldet. Er sagte
Weitere Kostenlose Bücher