Tiefe Wunden
Mannschaft des Segelbootes mit dem stolzen Namen »Preußenehre« bestand aus vier jungen Männern, die glücklich in die Kamera lachten: David Goldberg, Walter Endrikat, Elard von Zeydlitz-Lauenburg und Theodor von Mannstein.
»Elard von Zeydlitz-Lauenburg «, murmelte Pia und vergrößerte das Bild mit einem Mausklick. Das musste der seit Januar 1945 als vermisst geltende Bruder von Vera Kaltenseegewesen sein. Die Ähnlichkeit zwischen dem knapp Achtzehnjährigen auf dem Foto von 1933 und seinem sechzigjährigen Neffen gleichen Vornamens war nicht zu übersehen. Pia druckte die Dateien aus, dann stand sie auf und bat Christina Nowak in ihr Büro.
»Entschuldigen Sie bitte, dass Sie warten mussten.« Pia schloss die Tür hinter sich. »Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«
»Nein danke.« Christina Nowak setzte sich auf die vorderste Kante des Stuhls und stellte ihre Handtasche auf den Knien ab.
»Ihr Mann spricht mit mir leider genauso wenig, deshalb würde ich gerne von Ihnen ein wenig mehr über ihn und sein Umfeld erfahren.«
Christina Nowak nickte gefasst.
»Hat Ihr Mann Feinde?«
Die blasse Frau schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich wüsste.«
»Wie steht es in der Familie? Das Verhältnis zwischen Ihrem Mann und Ihrem Schwiegervater scheint nicht besonders gut zu sein.«
»In einer Familie gibt es immer Spannungen.« Frau Nowak schob sich mit einer fahrigen Handbewegung eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Mein Schwiegervater würde aber sicher niemals etwas tun, was Marcus und damit auch mir und den Kindern schaden könnte.«
»Aber er nimmt es Ihrem Mann übel, dass er damals nicht die Baufirma weitergeführt hat, stimmt’s?«
»Die Firma war das Lebenswerk meines Schwiegervaters. Die ganze Familie arbeitete dort. Natürlich haben er und mein Schwager gehofft, dass Marcus ihnen aus der Bredouille helfen würde.«
»Und Sie? Was haben Sie davon gehalten, dass Ihr Manndas nicht getan und sich stattdessen selbständig gemacht hat?«
Christina Nowak rutschte auf ihrem Stuhl hin und her.
»Wenn ich ehrlich sein soll, hätte ich mir auch gewünscht, er hätte die Firma weitergemacht. Im Nachhinein bewundere ich ihn dafür, dass er es nicht getan hat. Die ganze Familie – ich eingeschlossen – hat großen Druck auf ihn ausgeübt. Ich bin leider kein besonders mutiger Mensch und hatte befürchtet, dass Marcus es nicht schaffen und wir alles verlieren würden.«
»Und wie ist es jetzt?«, erkundigte sich Pia. »Ihr Schwiegervater war nicht sehr betroffen über das, was Ihrem Mann gestern Nacht zugestoßen ist.«
»Da täuschen Sie sich«, sagte Christina Nowak schnell. »Mein Schwiegervater ist mittlerweile sehr stolz auf Marcus.«
Das bezweifelte Pia. Manfred Nowak war offensichtlich ein Mensch, dem der Verlust von Einfluss und Reputation schwer zu schaffen machte. Allerdings konnte sie verstehen, dass seine Schwiegertochter nichts Negatives gegen die Eltern ihres Mannes sagen wollte, mit denen sie unter einem Dach lebte. Sie war schon oft Frauen wie Christina Nowak begegnet, die mit aller Macht die Augen vor der Realität verschlossen, jede Veränderung in ihrem Leben fürchteten und krampfhaft die Fassade bester Ordnung aufrechterhielten.
»Können Sie sich vorstellen, warum Ihr Mann überfallen und gefoltert wurde?«, fragte Pia.
»Gefoltert?« Frau Nowak wurde noch blasser und starrte Pia ungläubig an.
»Seine rechte Hand wurde zerquetscht. Die Ärzte wissen noch nicht, ob sie überhaupt zu retten ist. Wussten Sie das gar nicht?«
»Nein ... nein«, gab sie nach kurzem Zögern zu. »Undich habe auch keine Ahnung, weshalb jemand meinen Mann foltern sollte. Er ist Handwerker, kein ... kein Geheimagent oder so etwas.«
»Warum hat er uns dann angelogen?«
»Angelogen? Wieso?«
Pia erwähnte die Polizeikontrolle, in die Nowak in der Nacht vom 0. April auf den 1. Mai geraten war. Christina Nowak wich ihrem Blick aus.
»Sie müssen mir hier kein Theater vorspielen«, sagte Pia. »Es kommt immer wieder vor, dass ein Mann Geheimnisse vor seiner Frau hat.«
Christina Nowak lief rot an, zwang sich aber zur Ruhe.
»Mein Mann hat keine Geheimnisse vor mir«, sagte sie steif. »Das mit der Polizeikontrolle hat er mir erzählt.«
Pia tat so, als würde sie sich eine Notiz machen, weil sie wusste, dass es die Frau verunsicherte.
»Wo waren Sie in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai?«
»Beim Tanz in den Mai am Sportplatz. Mein Mann hatte an dem Abend noch zu tun und kam später auf das
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