Tiefe Wunden
Fest.«
»Wann ist er dort eingetroffen? Vor oder nach der Polizeikontrolle?«
Pia lächelte harmlos. Sie hatte die Uhrzeit der Kontrolle nicht erwähnt.
»Ich ... ich habe ihn gar nicht gesehen. Aber mein Schwiegervater und ein paar Freunde meines Mannes sagten mir, er sei da gewesen.«
»Er war auf dem Fest und hat nicht mit Ihnen gesprochen?«, hakte Pia nach. »Das ist ja komisch.«
Sie merkte, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte. Einen Moment war es ganz still. Pia wartete ab.
»Es ist nicht so, wie Sie denken.« Christina Nowak beugte sich etwas vor. »Ich weiß, dass mein Mann sich nicht mehrviel aus den Leuten im Sportverein macht, deshalb habe ich ihn auch nicht gedrängt, zu diesem Fest zu kommen. Er war kurz da, hat mit seinem Vater gesprochen und ist wieder nach Hause gefahren.«
»Ihr Mann wurde in dieser Nacht um 23:45 Uhr von der Polizei angehalten. Wo ist er danach gewesen?«
»Zu Hause, nehme ich an. Ich bin erst um sechs nach dem Aufräumen vom Sportplatz gekommen, da war er schon joggen. Wie jeden Morgen.«
»Aha. Na gut.« Pia suchte in den Unterlagen auf ihrem Schreibtisch herum und sagte nichts. Christina Nowak wurde zunehmend nervöser. Ihr Blick huschte hin und her, über ihrer Oberlippe glänzten Schweißperlen. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus.
»Warum fragen Sie überhaupt immer wieder nach dieser Nacht?«, fragte sie. »Was hat das mit dem Überfall auf meinen Mann zu tun?«
»Ist Ihnen der Name Kaltensee ein Begriff?«, erkundigte sich Pia, statt zu antworten.
»Ja. Natürlich.« Christina Nowak nickte unsicher. »Wie so?«
»Vera Kaltensee schuldet Ihrem Mann eine große Summe Geld. Außerdem hat sie ihn wegen fahrlässiger Körperverletzung angezeigt. Wir haben in seinem Büro eine Ladung zur Polizei gefunden.«
Christina Nowak biss sich auf die Unterlippe. Offenbar gab es einiges, von dem sie nichts wusste. Ab da schwieg sie auf jede von Pias Fragen. »Frau Nowak, bitte. Ich suche nach einem Grund für den Überfall.«
Sie hob den Kopf und starrte Pia an. Ihre Finger umklammerten den Griff ihrer Tasche so fest, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Eine ganze Weile war es still.
»Ja, mein Mann hat Geheimnisse vor mir! «, stieß sie aufeinmal hervor. »Ich weiß auch nicht, wieso, aber seit er vor letztes Jahr in Polen war und Professor Kaltensee kennengelernt hat, hat er sich vollkommen verändert!«
»Er war in Polen? Wieso?«
Christina Nowak schwieg zunächst, doch dann strömte es aus ihr heraus wie Lava aus einem Vulkan.
»Mit mir und den Kindern ist er seit Ewigkeiten nicht mehr in Urlaub gefahren, weil er angeblich keine Zeit hat! Aber er kann zehn Tage mit seiner Oma nach Masuren fahren! Dafür hat er Zeit! Ja, es klingt vielleicht albern, aber manchmal habe ich das Gefühl, er wäre mit Auguste verheiratet und nicht mit mir! Und dann ist auch noch dieser Kaltensee aufgetaucht! Professor Kaltensee hier, Professor Kaltensee dort! Dauernd telefonieren sie und schmieden irgendwelche Pläne, von denen er mir nichts erzählt. Mein Schwiegervater ist explodiert, als er mitbekommen hat, dass Marcus ausgerechnet für die Kaltensees gearbeitet hat!«
»Warum das?«
»Die Kaltensees sind schuld daran, dass mein Schwiegervater damals Bankrott anmelden musste«, erklärte Christina Nowak zu Pias Überraschung. »Er hat für Kaltensees Firma den neuen Bürotrakt in Hofheim gebaut. Sie warfen ihm Pfusch am Bau vor. Es gab zig Sachverständigengutachten, die Sache kam vor Gericht und zog sich über Jahre hin. Meinem Schwiegervater ist irgendwann die Luft ausgegangen, immerhin ging es um sieben Millionen Euro. Als es zu einem Vergleich kam, sechs Jahre später, war die Firma nicht mehr zu retten.«
»Das ist ja interessant. Und weshalb hat Ihr Mann dann wieder für die Kaltensees gearbeitet?«, wollte Pia wissen. Christina Nowak zuckte mit den Schultern.
»Das hat niemand von uns verstanden«, sagte sie bitter. »Mein Schwiegervater hat Marcus immer wieder gewarnt.
Und jetzt wiederholt sich das ganze Spiel: Es gibt kein Geld, stattdessen Prozesse, Gutachten über Gutachten ...«
Sie brach ab und stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Mein Mann ist diesem Kaltensee regelrecht hörig. Mich nimmt er überhaupt nicht mehr wahr! Er würde es nicht einmal merken, wenn ich ausziehe!«
Pia konnte aus eigener Erfahrung nachvollziehen, wie es der Frau ging, aber sie wollte keine Details über die Eheprobleme der Nowaks hören.
»Ich bin Professor Kaltensee
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