Tiefe Wunden
Kaltensee übel mitgespielt worden. Die Demütigung seiner fristlosen Entlassung in aller Öffentlichkeit musste für jeden Mann mit einem Rest an Selbstachtung nur schwer zu ertragen sein.
»Was für ein Auto fahren Sie eigentlich?«, wechselte Pia unvermittelt das Thema.
»Wieso?« Ritter starrte sie irritiert an. Er wollte eine weitere Zigarette aus dem Päckchen nehmen, musste aber feststellen, dass es leer war.
»Reine Neugier.« Pia griff in ihre Handtasche und legte ein angebrochenes Päckchen Marlboro auf den Tisch. »Bitte, bedienen Sie sich.«
Ritter zögerte einen Moment, griff dann aber zu.
»Meine Frau hat einen Z3. Den benutze ich gelegentlich. «
»Auch vergangene Woche am Donnerstag?«
»Möglich.« Ritter ließ sein Feuerzeug aufschnappen und sog den Rauch tief in die Lunge. »Wieso fragen Sie?«
Pia wechselte einen raschen Blick mit Bodenstein und entschloss sich zu einem Schuss ins Blaue. Vielleicht war Ritter der Mann mit dem Sportwagen.
»Sie wurden zusammen mit Robert Watkowiak gesehen«, sagte sie und hoffte, dass sie sich nicht irrte. »Was haben Sie mit ihm besprochen?«
Ritters fast unmerkliches Zusammenzucken signalisierte Pia, dass sie richtiglag.
»Weshalb möchten Sie das wissen?«, fragte er argwöhnisch und bestätigte so ihre Vermutung.
»Sie waren womöglich einer der Letzten, der mit Watkowiak gesprochen hat«, sagte sie. »Wir gehen derzeit davon aus, dass er der Mörder von Goldberg, Schneider und Anita Frings ist. Vielleicht wissen Sie schon, dass er sich am vergangenen Wochenende mit einer Überdosis Medikamente das Leben genommen hat.«
Sie bemerkte die Erleichterung, die kurz über Ritters Gesicht huschte.
»Das habe ich gehört.« Er ließ Rauch aus den Nasenlöchern entweichen. »Aber damit habe ich nichts zu tun. Robert hatte mich angerufen. Er hatte mal wieder ein Problem. Ich habe ihm früher in Veras Auftrag oft genug aus der Patsche geholfen, deshalb meinte er wohl, ich könne ihm auch diesmal helfen. Aber das konnte ich nicht.«
»Um ihm das zu sagen, haben Sie zwei Stunden mit ihm in der Eisdiele gesessen? Das glaube ich Ihnen nicht.«
»Es war aber so«, beharrte Ritter.
»Sie waren einen Tag, bevor er erschossen wurde, bei Goldberg in Kelkheim. Warum?«
»Ich habe ihn oft besucht«, log Ritter, ohne mit der Wimper zu zucken, und sah Pia dabei direkt in die Augen. »Ich weiß gar nicht mehr, über was wir an dem Abend gesprochen haben.«
»Sie lügen uns seit einer Viertelstunde an«, stellte Pia fest. »Warum? Haben Sie etwas zu verbergen?«
»Ich lüge nicht«, erwiderte Ritter. »Und ich habe nichts zu verbergen.«
»Warum sagen Sie uns nicht einfach, was Sie wirklich bei Goldberg wollten und worüber Sie mit Watkowiak gesprochen haben?«
»Weil ich mich kaum daran erinnere«, redete sich Ritter heraus. »Es muss etwas Unwichtiges gewesen sein.«
»Kennen Sie übrigens Marcus Nowak?«, mischte sich Bodenstein ein.
»Nowak? Den Restaurator? Nur flüchtig, ich bin ihm mal begegnet. Wieso wollen Sie das wissen?«
»Schon eigenartig.« Pia zog ihren Notizblock aus der Tasche. »Jeder scheint hier jeden nur flüchtig zu kennen.« Sie blätterte ein paar Seiten zurück.
»Ah ja, hier: Seine Frau hat uns erzählt, dass Sie und Professor Kaltensee nach dem Unfall in der Mühle und Ihrer fristlosen Entlassung mehrfach bei Marcus Nowak im Büro gesessen haben. Und das stundenlang.« Sie fixierte Ritter, dem sein Unbehagen anzusehen war. Mit der Überheblichkeit eines Mannes, der sich für intelligenter hielt als den Großteil seiner Mitmenschen, insbesondere als die Polizei, hatte er Pia völlig unterschätzt und wurde sich nun dessen bewusst. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und entschied sich für einen geordneten Rückzug.
»Ich muss jetzt leider los«, sagte er mit einem gezwungenen Lächeln. » Ein wichtiger Termin in der Redaktion.«
»Bitte.« Pia nickte. »Lassen Sie sich von uns nicht aufhalten. Wir werden Frau Dr. Kaltensee nach dem wahren Grund für Ihre Kündigung fragen. Vielleicht hat sie ja auch eine Vermutung, was Sie mit den Herren Watkowiak und Goldberg zu besprechen hatten.«
Das Lächeln gefror auf Ritters Gesicht, aber er erwiderte nichts. Pia schob ihm ihre Visitenkarte hin.
»Rufen Sie uns an, wenn Ihnen die Wahrheit einfällt.«
»Wie sind Sie darauf gekommen, dass der Mann in der Eisdiele Ritter gewesen sein könnte?«, fragte Bodenstein, als sie durch den Palmengarten zu ihrem Auto
Weitere Kostenlose Bücher