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Tiefe Wunden

Titel: Tiefe Wunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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war er nicht hässlich, aber auch nicht schön im herkömmlichen Sinn. Trotzdem hatte sein Gesicht etwas, das eine Frau zu einem zweiten Blick veranlassen mochte. Er musterte Pia kurz von Kopf bis Fuß, schien sie uninteressant zu finden und wandte sich Bodenstein zu.
    »Möchten Sie lieber an einem Nichtrauchertisch sitzen?«, fragte er.
    »Nein, schon in Ordnung.« Bodenstein nahm auf der ledernen Bank Platz und kam gleich zur Sache.
    »Im Umfeld Ihrer früheren Arbeitgeberin wurden fünf Menschen ermordet«, sagte er. »Im Laufe der Ermittlungenist mehrfach Ihr Name gefallen. Was können Sie uns über die Familie Kaltensee erzählen?«
    »Über wen möchten Sie etwas wissen?« Ritter hob die Augenbrauen und zündete sich eine neue Zigarette an. Drei Kippen lagen schon im Aschenbecher. »Ich war achtzehn Jahre lang der persönliche Assistent von Frau Dr. Kaltensee. Deshalb weiß ich natürlich eine Menge über sie und ihre Familie.«
    Die Bedienung trat an den Tisch, bot ihnen die Speisekarte an und hatte nur Augen für Ritter. Bodenstein bestellte einen Kaffee, Pia eine Cola light.
    »Noch einen Latte macchiato? «, fragte die junge Frau. Ritter nickte lässig und streifte Pia mit einem Blick, als wolle er sichergehen, dass sie bemerkt hatte, welche Wirkung er auf das weibliche Geschlecht ausübte.
    Blödmann, dachte sie und lächelte ihn an.
    »Was hat zu dem Zerwürfnis zwischen Ihnen und Frau Dr. Kaltensee geführt?«, erkundigte sich Bodenstein.
    »Es gab kein Zerwürfnis«, behauptete Ritter. »Aber nach achtzehn Jahren verliert auch der interessanteste Job irgendwann seinen Reiz. Ich wollte einfach mal etwas anderes machen. «
    »Aha.« Bodenstein tat so, als glaube er dem Mann. »Was machen Sie jetzt beruflich, wenn ich fragen darf?«
    »Sie dürfen.« Ritter verschränkte lächelnd die Arme vor der Brust. »Ich bin Redakteur eines wöchentlich erscheinenden Lifestyle-Magazins und schreibe nebenher Bücher.«
    »Oh, tatsächlich? Ich habe noch nie einen richtigen Schriftsteller getroffen.« Pia warf ihm einen bewundernden Blick zu, den er mit nicht zu übersehender Befriedigung registrierte. »Was schreiben Sie denn?«
    »Vor allem Romane«, erwiderte er vage. Er hatte die Beine übereinandergeschlagen und versuchte vergebens, einen gelassenenEindruck zu erwecken. Immer wieder wanderte sein Blick zu dem Handy, das neben dem Aschenbecher auf dem Tisch lag.
    »Man hat uns erzählt, dass Ihre Trennung von Frau Dr. Kaltensee nicht ganz so einvernehmlich war, wie Sie es schildern«, sagte Bodenstein nun. »Weshalb wurden Sie wirklich nach dem Unfall in der Mühle entlassen?«
    Ritter antwortete nicht. Sein Adamsapfel bewegte sich ruckartig auf und ab. Hatte er wirklich angenommen, die Polizei sei so ahnungslos?
    »Bei dem Streit, der zu Ihrer fristlosen Entlassung geführt hat, ging es angeblich um eine Kiste mit geheimnisvollem Inhalt. Was können Sie uns darüber sagen?«
    »Alles dummes Gerede.« Ritter machte eine wegwerfende Handbewegung. »Die ganze Familie war eifersüchtig auf mein gutes Verhältnis zu Vera. Ich war ihnen ein Dorn im Auge, weil sie fürchteten, ich könnte zu viel Einfluss auf sie haben. Unsere Trennung verlief freundschaftlich.«
    Das klang so überzeugend, dass Pia ohne Frau Moormanns gegensätzliche Schilderung nicht im Geringsten an seiner Behauptung gezweifelt hätte.
    »Was hat es denn eigentlich mit dieser verschwundenen Kiste auf sich?« Bodenstein nippte an seinem Kaffee. Pia sah ein kurzes Aufflackern in Ritters Augen. Seine Finger spielten unablässig mit dem Zigarettenpäckchen. Am liebsten hätte sie es ihm weggenommen, er steckte sie an mit seiner Nervosität.
    »Ich habe keine Ahnung«, antwortete er. »Es stimmt, dass eine Kiste vom Speicher der Mühle verschwunden sein soll. Aber ich habe sie nie zu Gesicht bekommen und weiß nicht, was damit passiert ist.«
    Dem jungen Mädchen hinter dem Büfett rutschte plötzlich ein Stapel Teller aus der Hand, und das Porzellan zerbarstkrachend auf dem Granitfußboden. Ritter zuckte zusammen, als habe man auf ihn geschossen, und wurde schneeweiß im Gesicht. Um seine Nerven schien es nicht zum Besten bestellt zu sein.
    »Haben Sie denn eine Vermutung, was in dieser Kiste gewesen sein könnte?«, wollte Bodenstein wissen. Ritter holte tief Luft, dann schüttelte er den Kopf. Er log ganz offensichtlich – aber warum? Schämte er sich, oder wollte er ihnen keinen Anlass geben, ihn zu verdächtigen? Zweifellos war ihm von Vera

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