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Tiefe Wunden

Titel: Tiefe Wunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Physik an der Humboldt-Universität. Im Dritten Reich durfte ich meinen Beruf nicht ausüben, weil ich mit den Kommunisten sympathisierte, deshalb war ich jahrelang im Ausland, aber später in der DDR ging es mir und meiner Familie immer gut. «
    »Aha«, sagte Kathrin Fachinger höflich. Sie wusste nicht ganz, auf was der alte Herr hinauswollte.
    »Natürlich kannte ich die ganze Parteispitze der SED persönlich, auch wenn ich nicht gerade behaupten kann, dass sie mir sonderlich sympathisch waren. Aber ich durfte endlich forschen, alles andere spielte für mich keine Rolle. AnitasMann Alexander war beim MfS, er war Offizier im besonderen Einsatz und zuständig für verdeckte Geschäfte zur Devisenerwirtschaftung ...«
    Kathrin Fachinger setzte sich aufrecht hin und starrte den Mann an.
    »Sie haben Frau Frings von früher gekannt?«
    »Ja, sagte ich das nicht vorhin schon?« Der alte Herr über legte einen Augenblick, dann zuckte er die Schultern. »Eigentlich kannte ich ihren Mann. Alexander Frings war im Krieg Offizier der Abwehr in der Abteilung Fremde Heere Ost und ein enger Mitarbeiter von General Reinhard Gehlen, vielleicht sagt Ihnen der Name etwas.«
    Kathrin Fachinger schüttelte den Kopf. Sie machte sich fieberhaft Notizen und ärgerte sich, dass sie das Diktiergerät auf ihrem Schreibtisch vergessen hatte.
    »In seiner Eigenschaft als Abwehroffizier war Frings ein intimer Kenner der Russen, nicht wahr. Und nachdem sich Gehlen und seine gesamte Abteilung bereits im Mai 1945 den Amerikanern gestellt hatten, wurden sie der Vorgängerorganisation der CIA angegliedert. Später gründete Gehlen mit ausdrücklicher Billigung der USA die ›Organisation Gehlen‹, aus der später der Bundesnachrichtendienst wurde.« Fritz Müller-Mansfeld lachte heiser, sein Lachen ging in Husten über. Es dauerte eine Weile, bis er weitersprechen konnte. »Innerhalb kürzester Zeit wurden aus überzeugten Nazis überzeugte Demokraten. Frings ging nicht mit nach Amerika, sondern zog es vor, in der sowjetisch besetzten Zone zu bleiben. Ebenfalls mit Billigung und Wissen der Amerikaner installierte er sich im MfS und war zuständig für Devisenbeschaffung für die DDR, aber er blieb im Kontakt mit der CIC, später CIA und Gehlen in Deutschland.«
    »Woher wissen Sie das alles?«, staunte Kathrin Fachinger. »Ich bin neunundachtzig Jahre alt«, erwiderte MüllerMansfeld freundlich. »Ich habe in meinem Leben sehr viel gesehen und gehört und fast genauso viel vergessen. Aber Alexander Frings hat mich beeindruckt, nicht wahr. Er sprach sechs oder sieben Sprachen fließend, war sehr intelligent und kultiviert, und er spielte das Spiel auf beiden Seiten mit. Er war Führungsoffizier für zahllose Ost-Spione, konnte in den Westen reisen, wie er wollte, kannte hochrangige westliche Politiker und alle wichtigen Wirtschaftsführer, vor allem die Waffenlobbyisten waren seine Freunde, nicht wahr.«
    Müller-Mansfeld machte eine Pause und rieb nachdenklich sein knochiges Handgelenk.
    »Was Frings allerdings an Anita gefunden hat – abgesehen von ihrem Äußeren –, das kann ich bis heute nur schwer verstehen.«
    »Wieso?«
    »Sie war ein eiskaltes Frauenzimmer«, entgegnete Müller-Mansfeld. »Man hat sich erzählt, dass sie Aufseherin im KZ Ravensbrück gewesen ist, nicht wahr. Sie hatte nicht die Absicht, in den Westen zu gehen, um dort möglicherweise von früheren Lagerinsassinnen identifiziert zu werden. 1945 in Dresden hatte sie Frings kennengelernt, und weil der damals schon Kontakte zu den Amerikanern und den Russen hatte, konnte er sie durch eine Heirat vor weiterer Strafverfolgung bewahren. Mit ihrem neuen Namen hatte sie auch ihre braune Gesinnung abgelegt und ebenfalls Karriere beim MfS gemacht. Allerdings ... « Müller-Mansfeld kicherte boshaft. »Ihr Faible für westliche Konsumgüter hat ihr in Wandlitz den heimlichen Spitznamen ›Miss Amerika‹ eingebracht, über den sie sich sehr geärgert hat.«
    »Was können Sie mir über den Mann sagen, der bei ihr war, an dem Abend?«, fragte Kathrin Fachinger.
    »Anita hatte ziemlich häufig Besuch. Ihre Jugendfreundin Vera war oft da und gelegentlich auch der Herr Professor.«
    Kathrin Fachinger übte sich in Geduld, während der alte Herr in seinen Erinnerungen kramte und mit zittriger Hand sein Wasserglas zum Mund führte.
    »Sie nannten sich die vier Musketiere.« Er lachte wieder, heiser und spöttisch. »Zweimal im Jahr trafen sie sich in Zürich, auch nachdem Anita und Vera

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