Tiefe Wunden
ihre Männer unter die Erde gebracht hatten.«
»Wer nannte sich die vier Musketiere?«, fragte Kathrin Fachinger verwirrt nach.
»Die vier alten Freunde von früher. Sie kannten sich ja von Kindesbeinen an, nicht wahr, Anita, Vera, Oskar und Hans.«
»Oskar und Hans?«
»Der Waffenhändler und sein Adjutant vom Finanzamt.«
»Goldberg und Schneider?« Kathrin Fachinger beugte sich aufgeregt vor. »Die haben Sie auch gekannt?«
Die Augen von Friedrich Müller-Mansfeld funkelten belustigt.
»Sie haben keine Vorstellung, wie lang die Tage in einem Seniorenheim werden können, selbst wenn es so luxuriös und komfortabel ist wie dieses hier. Anita hat gerne erzählt. Angehörige hatte sie keine, und zu mir hatte sie Vertrauen. Ich bin schließlich auch einer von drüben. Sie war raffiniert, aber längst nicht so gerissen wie ihre Freundin Vera. Die hat es faustdick hinter den Ohren. Sie hat es ja auch weit gebracht, für ein einfaches Mädchen aus Ostpreußen, nicht wahr.«
Er rieb sich wieder nachdenklich die Fingerknöchel.
»Anita war sehr aufgeregt, letzte Woche. Warum, das hat sie mir nicht gesagt. Aber sie hatte dauernd Besuch. Der Sohn von Vera war mehrfach da, der Glatzkopf, und auch seine Schwester, die Politikerin. Sie haben mit Anita unten in der Cafeteria gesessen, stundenlang. Und ›Katerchen‹,der kam regelmäßig. Schob sie im Rollstuhl durch die Gegend ... «
»›Katerchen‹?«
»So hat sie ihn genannt, den jungen Mann.«
Kathrin Fachinger fragte sich, was aus der Sicht eines Neunundachtzigjährigen wohl »jung« bedeuten mochte. »Wie hat er ausgesehen?«, fragte sie.
»Hm. Braune Augen. Schlank. Mittelgroß, Durchschnittsgesicht. Der ideale Spion, nicht wahr.« Müller-Mansfeld lächelte. »Oder ein Schweizer Bankier.«
»Und der war auch am Freitagabend bei ihr?«, fragte Kathrin Fachinger geduldig, obwohl sie innerlich vor Aufregung bebte. Bodenstein würde sich freuen.
»Ja.« Friedrich Müller-Mansfeld nickte. Sie holte ihr Handy aus der Tasche und suchte im Speicher nach dem Foto von Marcus Nowak, das Ostermann ihr vor einer halben Stunde geschickt hatte.
»Kann es dieser Mann hier gewesen sein?« Sie reichte Müller-Mansfeld ihr Mobiltelefon. Er schob die Brille auf die Stirn und hielt sich das Display dicht vor die Augen.
»Nein, der war das nicht«, sagte er. »Aber den habe ich auch gesehen. Ich glaube, es war sogar am selben Abend.«
Müller-Mansfeld legte nachdenklich die Stirn in Falten.
»Ja, ich erinnere mich«, sagte er schließlich. »Es war am Donnerstag, so gegen halb elf. Die Theateraufführung war gerade zu Ende, und ich ging zum Aufzug. Er stand im Foyer, als ob er auf jemanden warten würde. Mir ist aufgefallen, wie nervös er war. Er schaute dauernd auf die Uhr.«
»Und Sie sind ganz sicher, dass es sich um diesen Mann hier gehandelt hat?«, vergewisserte sich Kathrin Fachinger und hob ihr Handy.
»Hundertprozentig. Ich habe ein gutes Gedächtnis für Gesichter.«
Nachdem sie Professor Kaltensee nicht im Kunsthaus angetroffen hatten, fuhren Bodenstein und Pia zurück aufs Kommissariat. Ostermann begrüßte sie mit der Neuigkeit, dass der Staatsanwalt die Gründe zu dünn fand, um einer kriminaltechnischen Untersuchung von Nowaks Fahrzeugen zuzustimmen.
»Dabei war Nowak zur Tatzeit am Fundort einer Leiche!«, regte Pia sich auf. »Außerdem wurde eines seiner Autos vor Schneiders Haus gesehen!«
Bodenstein schenkte sich eine Tasse Kaffee ein.
»Gibt es Neuigkeiten aus dem Krankenhaus?«, erkundigte er sich. Seit dem frühen Morgen saß vor der Tür von Nowaks Krankenzimmer ein Beamter, der jeden Besucher und die Uhrzeit des Besuches vermerkte.
»Morgens war seine Frau da«, erwiderte Ostermann. »Mittags kamen seine Großmutter und einer seiner Mitarbeiter. «
»Das ist alles?« Pia war enttäuscht. Nichts ging voran.
»Dafür habe ich jede Menge über die KMF herausgefunden.« Ostermann suchte in seinen Unterlagen, bis er die entsprechende Mappe gefunden hatte, und referierte. Eugen Kaltensee hatte sich in den dreißiger Jahren auf eine etwas unfeine, aber damals nicht ungewöhnliche Art der Firma seines jüdischen Chefs bemächtigt, als dieser die Zeichen der Zeit erkannt und mit seiner Familie Deutschland verlassen hatte. Kaltensee hatte die Erfindungen des Vorbesitzers für die Rüstungsindustrie genutzt, im Osten expandiert und ein Vermögen verdient. Als Lieferant der Wehrmacht war er Mitglied der NSDAP und einer der großen
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