Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tiefe Wunden

Titel: Tiefe Wunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
Vom Netzwerk:
zurückgingen.
    »Intuition.« Pia zuckte die Achseln. »Ritter ist irgendwie der Typ für einen Sportwagen.«
    Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinanderher.
    »Wieso hat der uns wohl so angelogen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Vera Kaltensee ihren langjährigen Assistenten, der so viel über sie weiß, nach achtzehn Jahren wegen einer verschwundenen Kiste fristlos feuert. Dahinter muss mehr stecken.«
    »Aber wer könnte das wissen?«, überlegte Bodenstein.
    »Elard Kaltensee«, schlug Pia vor. »Den sollten wir sowie so noch mal besuchen. In seinem Schlafzimmer direkt neben dem Bett steht nämlich die fehlende Kiste.«
    »Woher wissen Sie denn, was im Schlafzimmer von Elard Kaltensee steht?« Bodenstein blieb stehen und sah Pia mit gerunzelter Stirn an. »Und wieso haben Sie das nicht eher gesagt?«
    »Mir ist es vorhin in der Werkstatt auf dem Mühlenhof eingefallen«, rechtfertigte sich Pia. »Aber jetzt sage ich es ja.«
    Sie verließen den Palmengarten und überquerten die Siesmayerstraße. Bodenstein öffnete mit einem Druck auf die Fernbedienung die Zentralverriegelung seines Autos. Pia hatte schon den Griff der Beifahrertür in der Hand, als ihr Blick auf das Haus an der gegenüberliegenden Straßenseite fiel. Es war eines jener vornehmen Stadthäuser aus dem 19. Jahrhundert mit sorgfältig restaurierter Gründerzeitfassade, deren großzügige Altbauwohnungen auf dem Immobilienmarkt hoch gehandelt wurden.
    »Schauen Sie mal da drüben. Ist das nicht unser Lügenbaron?«
    Bodenstein wandte den Kopf.
    »Tatsächlich. Das ist er.«
    Ritter hatte sein Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmtund hantierte mit einem Schlüsselbund an der Briefkastenanlage des Hauses. Dann schloss er immer noch telefonierend die Haustür auf und verschwand im Innern des Gebäudes. Bodenstein schlug die Autotür wieder zu. Sie überquerten die Straße und begutachteten die Briefkästen.
    »Also, eine Zeitungsredaktion gibt’s hier nicht.« Pia tippte auf eines der Messingschildchen. »Aber hier wohnt jemand namens M. Kaltensee. Was hat denn das jetzt zu bedeuten?«
    Bodenstein blickte an der Fassade hoch. »Das werden wir schon rauskriegen. Fahren wir erst mal zu Ihrem Lieblingsverdächtigen.«
     
    Friedrich Müller-Mansfeld war ein hochgewachsener, schlanker Mann mit einem schneeweißen Haarkranz rings um eine altersfleckige Glatze. Er hatte ein langes faltiges Gesicht und rotumränderte Augen, die von den dicken Gläsern seiner altmodischen Brille unnatürlich vergrößert wurden. Er war am vergangenen Samstagmorgen zu seiner Tochter an den Bodensee gereist und erst gestern Abend wieder zurückgekehrt. Sein Name war einer der letzten auf der langen Liste der Bewohner und Mitarbeiter des Taunusblicks , und Kathrin Fachinger hegte keine besonders großen Hoffnungen, von ihm mehr zu erfahren, als von den dreihundertzwölf Personen zuvor. Höflich stellte sie dem alten Herrn die üblichen Routinefragen. Sieben Jahre lang hatte er Tür an Tür mit Anita Frings gewohnt und zeigte sich nun angemessen betroffen, als er vom gewaltsamen Tod seiner Nachbarin erfuhr.
    »Ich habe sie am Abend, bevor ich abgereist bin, noch gesehen«, sagte er mit heiserer, zittriger Stimme. »Da war sie recht guter Dinge.«
    Er umfasste sein rechtes Handgelenk mit der linken Hand, aber der Tremor war nicht zu übersehen.
    »Parkinson«, erklärte er. »Meistens geht es mir gut, nicht wahr, aber die Reise hat mich doch etwas angestrengt.«
    »Ich werde Sie auch nicht lange stören«, erwiderte Kathrin Fachinger freundlich.
    »Oh, stören Sie mich, solange Sie wollen.« In seinen hellen Augen blitzte der Altherrencharme. »Es ist eine nette Abwechslung, mit einer so hübschen jungen Dame zu sprechen, nicht wahr. Sonst gibt es hier ja nur alte Schachteln.«
    Kathrin Fachinger lächelte.
    »Gut. Sie haben Frau Frings also noch am Abend des . Mai gesehen. War sie allein oder in Begleitung?«
    »Allein konnte sie sich ja kaum noch fortbewegen. Hier war viel los, im Park war eine Freiluftaufführung. Bei ihr war dieser Mann, der sie regelmäßig besucht hat, nicht wahr.«
    Kathrin Fachinger horchte auf.
    »Können Sie sich erinnern, um wie viel Uhr das ungefähr gewesen ist?«
    »Natürlich. Ich habe Parkinson, nicht wahr, kein Alzheimer.«
    Es sollte ein Scherz sein, aber da sein Gesicht so gut wie unbeweglich blieb, begriff die Beamtin das nicht sofort.
    »Wissen Sie, ich stamme aus Ostberlin«, sagte der alte Herr. »Ich war Professor für angewandte

Weitere Kostenlose Bücher