Tiefe Wunden
Kriegsgewinnler gewesen.
»Woher weißt du das?«, unterbrach Pia ihren Kollegen verwundert.
»Es gab einen Prozess«, erwiderte Ostermann. »Der jüdischeVorbesitzer Josef Stein verlangte nämlich nach dem Krieg seine Firma zurück. Angeblich hatte Kaltensee eine Erklärung unterschrieben, dass er im Falle einer Rückkehr Steins die Firma an ihn zurückgeben müsste. Natürlich war diese Erklärung unauffindbar, es kam zu einem Vergleich, und Stein erhielt Anteile an der Firma. Das alles ging damals groß durch die Presse, denn obwohl Kaltensee in seinen Ostbetrieben nachweislich KZ-Häftlinge ausgebeutet hatte, wurde er als ›entlastet‹ eingestuft und nicht verurteilt.«
Ostermann lächelte zufrieden.
»Ich habe den ehemaligen Prokuristen der KMF ausfindig gemacht«, sagte er. »Er ist vor fünf Jahren in Rente gegangen und auf Vera und Siegbert Kaltensee nicht besonders gut zu sprechen, denn sie haben ihn ziemlich übel ausgebootet. Der Mann kennt den ganzen Laden bis ins kleinste Detail und hat mir alles haarklein erzählt.«
Mitte der achtziger Jahre war es zu einem folgenschweren Krach in der Firma gekommen. Vera und Siegbert wollten mehr Einfluss und schmiedeten Intrigen gegen Eugen Kaltensee, der daraufhin die Struktur der Firma veränderte. Er setzte einen neuen Gesellschaftervertrag auf und verteilte die Stimmrechte nach Gutdünken an einzelne Familienmitglieder und Freunde. Eine fatale Entscheidung, die bis zum heutigen Tag für Krach innerhalb der Familie sorgte. Siegbert und Vera erhielten je zwanzig Prozent, Elard, Jutta, Schneider und Anita Frings jeweils zehn Prozent, Goldberg elf Prozent, Robert Watkowiak fünf Prozent und eine Frau namens Katharina Schmunck vier Prozent. Bevor Kaltensee diesen Vertrag wieder ändern konnte, stürzte er die Kellertreppe hinunter und brach sich dabei das Genick.
In dem Augenblick meldete sich Bodensteins Handy. Es war Kathrin Fachinger. »Chef, ich hab einen Volltreffer!«, rief sie. Bodenstein machte Ostermann ein Zeichen, dass ereinen Augenblick warten sollte, und lauschte der aufgeregten Stimme seiner jüngsten Mitarbeiterin.
»Sehr gut, Frau Fachinger«, sagte er schließlich und beendete das Gespräch. Er blickte auf und grinste zufrieden.
»Damit kriegen wir einen Haftbefehl für Nowak und einen Durchsuchungsbeschluss für seine Firma und Wohnung.«
23. August 1942. Diesen Tag werde ich in meinem ganzen Leben niemals vergessen! Ich bin Tante geworden! Was für eine Aufregung! Um zehn Uhr fünfzehn heute Abend hat Vicky einen gesunden Jungen zur Welt gebracht – und ich war dabei! Es ging ganz schnell, dabei dachte ich immer, so etwas dauert Stunden und Stunden! Der Krieg ist so weit weg und doch so nah! Elard hat keinen Fronturlaub bekommen, er ist in Russland, und Mama hat den ganzen Tag gebetet, dass ihm nichts passiert, nicht an diesem Tag! Am Nachmittag haben bei Vicky die Wehen eingesetzt. Papa hat Schwinderke nach Doben geschickt, um die Frau Wermin zu holen, aber die konnte nicht weg. Die Frau vom Bauern Krupski in Rosengarten liegt seit zwei Tagen in den Wehen, und sie ist ja schon fast vierzig! Vicky war ganz tapfer. Ich bewundere sie! Es war schrecklich und gleichzeitig wunderbar! Mama, Edda, ich und die Frau Endrikat haben das auch ohne die Frau Wermin hinbekommen. Papa hat eine Flasche Champagner aufgemacht und mit Endrikat zusammen ausgetrunken – die beiden Großväter! Sie waren ziemlich beschwipst, als Mama ihnen das Baby gezeigt hat. Ich durfte es auch auf dem Arm halten. Unglaublich, wenn man sich vorstellt, dass aus diesem Wesen mit den winzigen Händchen und Füßchen eines Tages ein großer, starker Mann werden soll! Vicky hat ihn nach meinem und ihrem Papa Heinrich Arno Elard genannt – auch wenn Edda sagte, er müsse mindestens mit zweitem Namen Adolf heißen –, und da haben die zwei Großväter vor Rührung ein paar Tränchen zerquetscht und noch eine Flasche Champagner geköpft. Als die Frau Wermin schließlich gekommen ist, hat Vicky das Baby schon gestillt, die Frau Endrikat hatte es gewaschen und gewickelt. Und ich werde Patentante sein!! Ach, das Leben ist so aufregend. Der kleine Heinrich Arno Elard war ganz unbeeindruckt, als Papa ihm ganz ernsthaft erklärt hat, dass er eines Tages der Herr von Gut Lauenburg sein wird, und dann hat er ihm auf die Schulter gespuckt. Was haben wir gelacht! Ein herrlicher Tag, fast so wie früher! Sobald Elard Urlaub bekommt, wird Taufe sein. Und bald auch Hochzeit! Dann wird
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