Tiefe Wunden
hatten Katharina und ihre Verlagsmenschen zweifellos die gewünschte Sensation.
»Nowak war also am Donnerstagabend im Taunusblick «, sagte Bodenstein, nachdem er Ostermann und Pia von Kathrin Fachingers Gespräch mit Anita Frings’ Wohnungsnachbarn berichtet hatte.
»Und das wohl kaum wegen der Theateraufführung«, bemerkte Pia.
»Erzählen Sie weiter von der KMF«, forderte Bodenstein Ostermann auf.
Vera Kaltensee hatte vor Wut gerast, als der neue Gesellschaftervertrag bei der Testamentseröffnung nach dem Tod ihres Mannes verlesen wurde. Sie hatte vergeblich versucht, den Vertrag anzufechten, dann hatte sie Goldberg, Schneider und Frings die Anteile abkaufen wollen, aber das war laut Vertrag nicht möglich.
»Übrigens wurde damals Elard Kaltensee verdächtigt, seinen Stiefvater, mit dem er sich nie gut verstanden hatte, die Treppe hinuntergestoßen zu haben«, sagte Ostermann. »Später wurde aber auf Unfall erkannt, und die Sache kam zu den Akten.« Er blickte auf seinen Notizblock. »Vera Kaltensee hatte es überhaupt nicht gepasst, dass sie ihre alten Freunde, ihren Stiefsohn Robert und eine Freundin ihrer Tochter nun um Zustimmung für jedes geplante Geschäft bitten musste, aber ihr gelang es durch die Unterstützung Goldbergs, Honorarkonsulin von Surinam zu werden, sich die Rechte am Bauxitvorkommen in Surinam zu sichern und so direkt ins Aluminiumgeschäft einzusteigen. Sie wollte nicht länger nur Zulieferer sein. Ein paar Jahre später hat sie diese Rechte an die amerikanische ALCOA verkauft, und die KMF wurde Weltmarktführer für Strangpressen zur Aluminiumverarbeitung. Die Tochtergesellschaften, die das eigentliche Kapital verwalten, sitzen in der Schweiz, in Liechtenstein, auf den British Virgin Islands, Gibraltar, Monaco und was weiß ich, wo. Sie zahlen so gut wie überhaupt keine Steuern.«
»Hatte Herrmann Schneider mit diesen Geschäften zu tun?«, fragte Pia. Allmählich schien sich die ganze Geschichte mit ihren eigenen Erkenntnissen wie ein Puzzle zusammenzufügen! Alles hatte eine Bedeutung, die sich aus dem Gesamtbild ergeben würde.
»Ja.« Ostermann nickte. »Er war Berater der KMF Suisse.«
»Was ist jetzt mit den Firmenanteilen?«, wollte Bodenstein wissen.
»Genau.« Ostermann richtete sich auf. »Jetzt kommt’s nämlich: Laut Gesellschaftervertrag waren sämtliche Anteile weder vererblich noch verkäuflich und gehen beim Tod des Inhabers an den geschäftsführenden Gesellschafter über. Und diese Klausel könnte ein echtes Motiv für vier unserer Morde sein.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Bodenstein.
»Laut Einschätzung der Wirtschaftsprüfer ist die KMF etwa vierhundert Millionen Euro wert«, sagte Ostermann. »Es gibt ein Angebot einer englischen Heuschreckenfirma über das Doppelte des derzeitigen Marktwertes. Ihr könnt euch ausrechnen, was das für die einzelnen Anteile bedeutet. «
Bodenstein und Pia wechselten einen kurzen Blick.
»Der Geschäftsführer der KMF ist Siegbert Kaltensee«, sagte Bodenstein. »Er bekommt also die Anteile von Goldberg, Schneider, Watkowiak und Frau Frings nach ihrem Tod.«
»So sieht es aus.« Ostermann legte seinen Notizblock auf den Schreibtisch und blickte triumphierend in die Runde. »Und wenn achthundert Millionen Euro kein Mordmotiv sind, dann fällt mir auch nichts mehr ein.«
Einen Moment lang war es völlig still.
»Da gebe ich Ihnen recht«, bemerkte Bodenstein trocken.
»Siegbert Kaltensee konnte bisher die Firma weder verkaufen noch an die Börse bringen, dafür fehlten ihm die Mehrheiten. Jetzt sieht es ganz anders aus: Er hält, wenn ich richtig rechne, 55 Prozent der Anteile, inklusive seiner eigenen zwanzig.«
»Schon zehn Prozent von achthundert Millionen sind nichtzu verachten«, sinnierte Pia. »Jeder von denen könnte ein Interesse daran gehabt haben, dass Siegbert die Anteilsmehrheit bekommt und durch einen Verkauf der KMF seine Anteile in klingende Münze verwandelt.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass da das Motiv für die Morde liegt«, Bodenstein trank den Rest seines Kaffees aus und schüttelte den Kopf. »Viel eher denke ich, dass unser Mörder – ohne es zu wollen – den Kaltensees einen großen Gefallen getan hat.«
Pia hatte sich die Unterlagen von Ostermanns Schreibtisch gefischt und studierte seine Notizen.
»Wer ist eigentlich diese Katharina Schmunck?«, fragte sie. »Was hat die mit den Kaltensees zu tun?«
»Katharina Schmunck heißt heute Katharina Ehrmann«, erklärte
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