Tiefe Wunden
Mutter, was in der Kiste war?«
»Davon gehe ich aus. Sie sagt aber nichts. Und wenn meine Mutter etwas nicht sagen will, dann tut sie es nicht.« Kaltensee lachte gehässig. »Schauen Sie sich nur meinen Bruder an, der seit sechzig Jahren verzweifelt auf der Suche nach seinem Erzeuger ist.«
»Gut.« Bodenstein lächelte und erhob sich. »Danke, dass Sie uns Ihre Zeit geopfert haben. Ach, nur noch eine Frage:Auf wessen Anweisung haben die Leute von Ihrem Werkschutz Marcus Nowak gefoltert und zusammengeschlagen?«
»Wie bitte?« Kaltensee schüttelte irritiert den Kopf. »Wen?«
»Marcus Nowak. Der Restaurator, der damals den Umbau der Mühle vorgenommen hat.«
Kaltensee runzelte nachdenklich die Stirn, dann schien es ihm einzufallen.
»Ach, der«, sagte er. »Mit seinem Vater hatten wir seinerzeit große Probleme. Seine schlampige Arbeit beim Bau des Verwaltungsgebäudes hat uns viel Geld gekostet. Aber was soll unser Werkschutz bei seinem Sohn gewollt haben?«
»Das würde uns auch interessieren«, sagte Bodenstein. »Haben Sie etwas dagegen, wenn sich unsere Kriminaltechniker Ihre Fahrzeuge anschauen?«
»Nein«, erwiderte Kaltensee, ohne zu zögern und ein bisschen amüsiert. »Ich rufe Herrn Améry an, den Geschäftsführer von K-Secure. Er wird Ihnen zur Verfügung stehen.«
Henri Améry war Mitte dreißig, ein gutaussehender südländischer Typ, schlank und braungebrannt, das kurzgeschnittene schwarze Haar nach hinten gekämmt. Er trug ein weißes Hemd, einen dunklen Anzug und italienische Schuhe und hätte gut und gerne Börsenmakler, Anwalt oder Banker sein können. Mit einem zuvorkommenden Lächeln überreichte er Bodenstein eine Liste seiner Mitarbeiter, vierunddreißig an der Zahl inklusive ihm selbst, und beantwortete anstandslos alle Fragen. Seit anderthalb Jahren war er Chef der K-Secure. Den Namen Nowak hatte er nie gehört und schien ehrlich überrascht, als er von einem angeblichen Geheimeinsatz seiner Leute erfuhr. Gegen eine Untersuchung der Fahrzeuge hatte er nichts einzuwenden und legte gleich eine zweite Liste vor, auf denen alle Firmenfahrzeuge mit Kennzeichen, Typ,Tag der ersten Zulassung und Kilometerstand aufgeführt waren. Während Bodenstein noch mit ihm sprach, meldete sich Miriam auf Pias Handy. Sie war auf dem Weg nach Doba, dem ehemaligen Doben, zu dessen Amtsbereich das Dorf Lauenburg und das Gut gehört hatten.
»Ich treffe mich morgen früh mit einem Mann, der bis 1945 auf dem Gut der Zeydlitz-Lauenburgs als polnischer Zwangsarbeiter gearbeitet hat«, berichtete sie. »Die Archivarin kennt ihn. Er lebt in einem Altersheim in Wegorzewo.«
»Das hört sich gut an.« Pia sah ihren Chef aus dem Büro der K-Secure kommen. »Achte auf die Namen Endrikat und Oskar, denk dran!«
»Klar, mach ich«, erwiderte Miriam. »Bis später.«
»Und?«, erkundigte sich Bodenstein, als Pia das Handy zu geklappt hatte. »Was halten Sie von Siegbert Kaltensee und diesem Améry?«
»Siegbert hasst seinen Bruder und Ritter«, analysierte Pia. »Sie waren in seinen Augen Konkurrenten um die Gunst seiner Mutter. Hat Ihre Schwiegermutter nicht gesagt, Vera habe ihren Assistenten geradezu vergöttert? Und Elard wohnt sogar auf dem Mühlenhof, sieht Klassen besser aus als Siegbert und hatte zumindest früher ein amouröses Abenteuer nach dem anderen.«
»Hm.« Bodenstein nickte nachdenklich. »Und dieser Améry?«
»Hübsches Bürschchen, etwas zu glatt für meinen Geschmack«, urteilte Pia. »Ein bisschen sehr hilfsbereit außerdem. Wahrscheinlich steht das Auto, mit dem seine Leute bei Nowak waren, überhaupt nicht auf der Liste. Die Untersuchung können wir dem Steuerzahler ersparen.«
Im Kommissariat erwartete sie Ostermann mit jeder Menge Neuigkeiten: Vera Kaltensee lag weder in Hofheim noch in Bad Soden im Krankenhaus. Von Nowak gab es keine Spur;immerhin war der Durchsuchungsbeschluss endlich da. Vor dem Tor des Mühlenhofs und vor Nowaks Firma waren Streifenwagen postiert worden. Die Hemden, die Behnke sich von Frau Moormann hatte zeigen lassen, gehörten Elard Kaltensee. Behnke war mittlerweile in Frankfurt auf der Suche nach dem Professor, doch das Kunsthaus war noch immer geschlossen. Ostermann hatte über Finanzamt, Einwohnermeldeamt und POLAS herausgefunden, dass Katharina Ehrmann, früher Schmunck, geboren am 19. 7. 1964 in Königstein, deutsche Staatsbürgerin mit ständigem Wohnsitz in Zürich/Schweiz, als zweiten Wohnsitz eine Adresse in Königstein angegeben hatte. Sie
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