Tiefe Wunden
entgegnete Ritter misstrauisch. »Falls Sie es sind, habe ich ein Päckchen für Sie«, antworteteder Bärtige. »Von einer Frau Ehrmann. Soll ich Ihnen aber nur persönlich übergeben.«
»Aha. « Ritter war skeptisch. Allerdings war Katharina immer für eine Überraschung gut. Sie brachte es fertig und schickte ihm irgendein Sexspielzeug, als Einstimmung auf den von ihr geplanten Abend. »Und wo ist das Päckchen?«
»Wenn Sie einen Moment warten, hol ich’s gerade. Ich hab es noch im Auto.«
»Nein, lassen Sie nur. Ich bin sowieso auf dem Weg nach unten«, Ritter winkte Sina grüßend zu und folgte dem Mann ins Treppenhaus. Er war froh, das Büro heute bei Tageslicht zu verlassen. Auch wenn er es sich nur ungern eingestand, der Lieferwagen auf dem Parkplatz und die blöde Bemerkung dieser unsympathischen blonden Kripotante hatten ihm Angst eingejagt. Aber jetzt würde er das Manuskript in die Verantwortlichkeit des Verlages übergeben, und wenn es erst einmal gedruckt war, konnten sie sich ihre Drohungen in den Hintern stecken. Ritter nickte dem Mann zu, als der ihm höflich die Tür aufhielt. Plötzlich spürte er einen Stich seitlich im Hals.
»Au!«, stieß er hervor und ließ die Tasche mit dem Laptop fallen. Ritter spürte, wie seine Beine unter ihm nachgaben, als seien sie aus Gummi. Ein schwarzer Lieferwagen stoppte direkt vor ihm, aus der Seitentür sprangen zwei Männer heraus und ergriffen seine Arme. Unsanft wurde er in das Innere des Transporters gestoßen, die Seitentür krachte wieder zu, und es war stockdunkel. Dann ging die Innenbeleuchtung des Transporters an, aber es wollte ihm nicht gelingen, den Kopf zu heben. Speichel tropfte aus seinem Mundwinkel, alles verschwamm vor seinen Augen, und in seinem Inneren öffneten sich die Schleusen der Angst. Dann verlor er das Bewusstsein.
Donnerstag, 10. Mai 2007
Pia stand fröstelnd neben dem Einsatzwagen der Spurensicherung und gähnte, bis ihre Kiefergelenke knackten. Es war kalt und ungemütlich, der Maimorgen dämmerte herauf wie ein Novembertag. Sie hatte gestern Abend erst um halb zwölf das Büro verlassen. Nacheinander trafen auch Behnke, Fachinger und Hasse ein, tranken einen Becher rabenschwarzen Kaffee, den der Einsatzleiter aus Thermoskannen verteilte. Es war Viertel nach sechs, als Bodenstein endlich auftauchte, unrasiert und augenscheinlich übernächtigt. Die Zivilbeamten scharten sich für eine letzte Lagebesprechung um ihn. Alle hatten schon genug Hausdurchsuchungen mitgemacht, um zu wissen, auf was es ankam. Zigaretten wurden ausgetreten, Kaffeereste in die Büsche neben der ARAL-Tankstelle gekippt, an der sie sich getroffen hatten. Pia ließ ihr Auto stehen und stieg bei Bodenstein ein. Er war blass und wirkte angespannt. Im Konvoi fuhren die Beamten hinter Bodensteins BMW die Straße hinunter zu Nowaks Firma.
»Die Empfangsdame aus Ritters Redaktion hat mir gestern Abend noch auf die Mailbox gesprochen«, sagte Bodenstein. »Ich habe es vorhin erst gehört. Ritter hat gestern gegen halb sieben das Büro verlassen, sie musste noch auf einen Kurier warten. Er wurde von einem Mann nach unten begleitet, der ihm ein Päckchen von Frau Ehrmann übergeben sollte. Als sie dann um halb acht aus dem Büro kam,stand Ritters Auto einsam und verlassen auf dem Park platz.«
»Da lang.« Pia wies nach rechts. »Das ist ja seltsam.«
»Allerdings.«
»Wie war es übrigens gestern mit Jutta Kaltensee? Haben Sie noch etwas Interessantes erfahren?« Sie registrierte überrascht, wie sich Bodensteins Kiefermuskulatur anspannte.
»Nein. Nichts Besonderes. Verschwendete Zeit«, erwiderte er wortkarg.
»Sie verheimlichen mir etwas«, stellte Pia fest.
Bodenstein stieß einen Seufzer aus und hielt ein paar Meter von Nowaks Firmengebäude entfernt am Straßenrand an.
»Gott bewahre mich vor dem Tag, an dem Sie mir auf den Fersen sind«, sagte er düster. »Ich habe eine Riesendummheit gemacht. Ich weiß wirklich nicht, wie es dazu kommen konnte, aber auf dem Weg zum Auto hat sie mich plötzlich ... nun ja ... unsittlich berührt.«
»Wie bitte?« Pia starrte ihren Chef ungläubig an, dann lachte sie. »Sie wollen mich auf den Arm nehmen, stimmt’s?«
»Nein. Das ist die Wahrheit. Ich hatte alle Mühe, ihr zu entkommen.«
»Sie haben es aber doch geschafft, oder nicht?« Bodenstein vermied es, sie anzusehen.
»Nicht wirklich«, gab er zu. Pia überlegte angestrengt, wie sie ihre nächste Frage so diplomatisch wie möglich formulieren konnte,
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