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Tiefe Wunden

Titel: Tiefe Wunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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lassen. Vor dem Tor des Mühlenhofs stand ein Streifenwagen, aber nicht einmal dieses unerwartete Hindernis konnte ihn erschüttern. Wenn er Glückhatte, kannte die Polizei die Zufahrt zum Hof über Lorsbach durchs Fischbachtal nicht, und er konnte ungesehen ins Haus gelangen. Eine Begegnung mit der Polizei pro Tag reichte ihm voll und ganz, außerdem würde ihn das Blut auf dem Beifahrersitz unweigerlich in Erklärungsnot bringen. Er horchte auf und drehte das Radio lauter. »... bittet die Polizei um Ihre Mithilfe. Seit dem Nachmittag wird der vierunddreißigjährige Marcus Nowak vermisst. Er ist aus dem Krankenhaus in Hofheim verschwunden und dringend auf lebensnotwendige Medikamente angewiesen ...« Elard Kaltensee schaltete das Radio ab und lächelte zufrieden. Sollten sie getrost suchen. Er wusste, wo Nowak war. So schnell würde ihn niemand finden, dafür hatte er gesorgt.
     
    Die Konzernzentrale der KMF befand sich in direkter Nähe zum Finanzamt am Hofheimer Nordring. Bodenstein hatte es vorgezogen, sich nicht bei Siegbert Kaltensee anzukündigen, und präsentierte dem Pförtner kommentarlos seinen Ausweis. Ein Mann in dunkler Uniform starrte ausdruckslos ins Auto und ließ den Schlagbaum hoch.
    »Ich wette ein Monatsgehalt, dass wir da drüben die Leute finden, die Nowak überfallen haben«, bemerkte Pia und wies auf ein unscheinbares Gebäude mit dem diskreten Firmenschild » K-Secure«. Auf dem eingezäunten Parkplatz daneben parkten mehrere schwarze VW-Busse und Mercedes-Transporter mit verdunkelten Scheiben. Bodenstein verlangsamte die Fahrt, und Pia las auf einigen Fahrzeugen die Werbeaufschrift »K-Secure – Objekt-, Werk- und Personenschutz, Geld- und Werttransporte« . Die Kratzer vom Betonblumenkübel vor Auguste Nowaks Haus waren sicher längst repariert worden, aber sie waren auf der richtigen Spur. Das Kriminallabor hatte die Lackspuren eindeutig einem Produkt aus dem Hause Mercedes-Benz zugeordnet.
    Die Sekretärin von Siegbert Kaltensee, die problemlos bei Germany’s Next Topmodel in die letzte Runde gekommen wäre, kündigte ihnen eine längere Wartezeit an – der Chef sei in einer wichtigen Geschäftsbesprechung mit Kunden aus Übersee. Pia erwiderte ihren herablassenden Blick mit einem Lächeln und fragte sich, wie jemand den ganzen langen Tag mit solchen Absätzen herumlaufen konnte.
    Siegbert Kaltensee ließ seine Überseekunden offenbar sitzen und erschien innerhalb von drei Minuten.
    »Wir haben gehört, dass Sie einige Veränderungen planen, was die Firma anbelangt«, sagte Bodenstein, nachdem die Sekretärin Kaffee und Mineralwasser serviert hatte. »Sie wollen angeblich verkaufen, was Sie bisher nicht konnten, da einige der Anteilsinhaber ihre Sperrminorität ausgeübt haben.«
    »Ich weiß nicht, woher Sie diese Informationen haben«, entgegnete Siegbert Kaltensee gelassen. »Außerdem ist die Angelegenheit etwas komplexer, als es wohl dargestellt wurde.«
    »Aber es stimmt doch, dass Sie für Ihr Vorhaben keine Mehrheit hatten?«
    Siegbert Kaltensee lächelte und stützte die Ellbogen auf die Schreibtischplatte. »Worauf wollen Sie hinaus? Doch nicht etwa darauf, dass ich Goldberg, Schneider und Anita Frings habe umbringen lassen, um als Geschäftsführer der KMF an ihre Anteile zu gelangen?«
    Bodenstein lächelte ebenfalls. »Jetzt sind Sie es, der die Sache ein wenig vereinfacht ausgedrückt hat. Aber in diese Richtung zielte meine Frage.«
    »Tatsächlich haben wir vor einigen Monaten die Firma von einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bewerten lassen«, sagte Siegbert Kaltensee. »Natürlich gibt es immer wieder Investoren, die Appetit auf eine gesunde, gut aufgestellte Firma haben, die auch noch Weltmarktführer auf ihrem Gebiet ist und einige hundert Patente besitzt. Die Bewertung fand allerdingsnicht aus dem Grund statt, weil wir verkaufen wollen, sondern weil wir in naher Zukunft einen Börsengang planen. Die KMF soll völlig umstrukturiert werden, um sich den Erfordernissen des Marktes anzupassen.«
    Er lehnte sich zurück.
    »Ich werde im Herbst sechzig. Niemand aus der Familie zeigt Interesse an der Firma, deshalb muss ich früher oder später das Ruder einem Fremden überlassen. Spätestens dann möchte ich die Familie aus der Firma herausnehmen. Sicher wissen Sie über die testamentarische Verfügung meines Vaters Bescheid. Mit Ablauf des Jahres verliert sie an Gültigkeit, dann können wir endlich die Betriebsform der Firma verändern. Aus der GmbH soll eine

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