Tiefe Wunden
war selbständige Verlegerin, einkommenssteuerpflichtig in der Schweiz, hatte keine Vorstrafen.
Bodenstein hatte Ostermann schweigend zugehört. Er warf einen Blick auf die Uhr. Gleich Viertel nach sechs. Um halb acht wartete Jutta Kaltensee im Gasthaus Rote Mühle in der Nähe von Kelkheim auf ihn.
»Verlegerin«, wiederholte er. »War sie es vielleicht, die Ritter mit dem Schreiben der Biographie beauftragt hat?«
»Werde ich überprüfen.« Ostermann machte sich eine Notiz.
»Und geben Sie eine Fahndung raus«, fügte Bodenstein hinzu. »Nach Professor Elard Kaltensee und seinem Auto.«
Er bemerkte Pias zufriedenen Gesichtsausdruck. Offenbar hatte sie mit ihrem Verdacht richtiggelegen.
»Morgen früh um sechs Uhr durchsuchen wir Nowaks Firma und Wohnung. Organisieren Sie das, Frau Kirchhoff. Ich will mindestens zwanzig Leute dabeihaben, das übliche Team.«
Pia nickte. Das Telefon klingelte, Bodenstein nahm ab. Behnke hatte den Hausmeister des Kunsthauses aufgetrieben. Dieser hatte Elard Kaltensee am Mittag geholfen, eine Kiste und zwei Reisetaschen ins Auto zu laden.
»Außerdem habe ich erfahren, dass der Professor noch ein Büro an der Universität hat«, schloss Behnke. »Im Campus Westend. Da fahre ich jetzt hin.«
»Was für ein Auto fährt er?« Bodenstein drückte auf die Lautsprechertaste, damit Ostermann mithören konnte.
»Moment.« Behnke sprach mit jemandem, dann wieder in sein Telefon. »Einen schwarzen S-Klasse Mercedes, Kennzeichen MTK-EK 222.«
»Danke. Halten Sie Ostermann und Frau Kirchhoff auf dem Laufenden. Falls Sie Kaltensee antreffen, nehmen Sie ihn fest und bringen ihn hierher«, sagte Bodenstein. »Ich will heute noch mit ihm sprechen.«
»Trotzdem Fahndung?«, erkundigte sich Ostermann, als Bodenstein aufgelegt hatte.
»Natürlich«, antwortete dieser und wandte sich zum Gehen. »Und dass mir von euch heute keiner Feierabend macht, ohne sich telefonisch abzumelden.«
Thomas Ritter blickte erschöpft auf die fertige Rohfassung des Manuskripts. Nach vierzehn Stunden und zwei Schachteln Marlboro, nur unterbrochen von den Kripoleuten und Katharina, hatte er es geschafft. Dreihundertneunzig Seiten schmutzige Wahrheit über die Familie Kaltensee und ihre vertuschten Verbrechen! Dieses Buch war purer Sprengstoff, es würde Vera das Genick brechen, ja sie vielleicht sogar ins Gefängnis bringen. Er fühlte sich völlig ausgelaugt und gleichzeitig so aufgekratzt, als hätte er Kokain geschnupft. Nachdem er die Datei abgespeichert hatte, brannte er sie aus einem Impuls heraus zusätzlich auf eine CD-ROM. Er kramte in seiner Aktentasche nach einer kleinen Audiokassette und steckte diese mit der CD-ROM in einen wattierten Umschlag, den er mit Eddingstift adressierte. Eine Sicherheitsmaßnahme für den Fall, dass sie ihn wieder bedrohen würden. ThomasRitter schaltete sein Laptop ab, klemmte es sich unter den Arm und stand auf.
»Auf Nimmerwiedersehen, du Dreckbüro«, murmelte er und warf keinen Blick zurück, als er hinausging. Nichts wie nach Hause und unter die Dusche! Katharina erwartete ihn zwar heute Abend noch, aber vielleicht konnte er das verschieben. Er hatte keine Lust mehr, über das Manuskript zu sprechen, über Verkaufschancen, Marketingstrategien und seine Schulden. Und noch weniger hatte er Lust auf Sex mit ihr. Zu seiner eigenen Überraschung freute er sich ehrlich auf Marleen. Er hatte ihr vor Wochen einen schönen Abend zu zweit versprochen, ein gemütliches Essen in einem netten Restaurant, danach einen Absacker in einer Bar und eine ausführliche Liebesnacht.
»Du grinst ja so zufrieden«, bemerkte Empfangsdame Sina, als er an ihrem Tisch vorbeiging. »Was ist los?«
»Ich freue mich auf meinen Feierabend«, erwiderte Ritter. Plötzlich hatte er eine Idee. Er reichte ihr den wattierten Um schlag. »Sei ein Schatz, und heb den für mich auf.«
»Klar doch. Mach ich.« Sina steckte den Umschlag in ihre gefälschte Louis-Vuitton-Tasche und zwinkerte ihm verschwörerisch zu. »Viel Spaß beim Feierabend ...«
Es klingelte an der Tür.
»Na, endlich.« Sie drückte auf den Türöffner. »Das wird wohl der Kurier mit den Andrucken sein. Der hat sich ja heute Zeit gelassen.«
Ritter zwinkerte zurück und trat zur Seite, um den Fahrradkurier vorbeizulassen. Doch statt des erwarteten Boten trat ein bärtiger Mann in dunklem Anzug ein. Er blieb vor Ritter stehen und musterte ihn kurz.
»Sind Sie Dr. Thomas Ritter?«, fragte er.
»Wer will das wissen?«,
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