Tiefe Wunden
nicht einfach mal kurz bei ihm im Zoo vorbeifahren konnte, erfüllte sie mit einem schmerzlichen Gefühl der Verlassenheit.
Er schien ihr dringendes Verlangen zu spüren, wie eine Strahlung, die von ihrem Körper ausging. Obwohl es natürlich nicht das erste Mal war, dass sie mit ihm schlief, klopfte ihr Herz zum Zerspringen, als sie ihm ins Schlafzimmer folgte und zusah, wie er sich eilig seiner Kleider entledigte. Einen Mann wie Christoph hatte sie noch nie gehabt – einen Mann, der alles forderte und alles gab, der ihr keinen verschämten Rückzug, keine Verlegenheit und keinen vorgetäuschten Orgasmus gestattete. Pia war geradezu süchtig nach der Heftigkeit, mit der ihr Körper auf seinen reagierte. Für Zärtlichkeit war später Zeit, jetzt wünschte sie nichts sehnlicher, als in seinen Armen den ganzen grässlichen Tag zu vergessen.
Donnerstag, 3. Mai 2007
Bodenstein fühlte sich wie gerädert, als er sich um kurz vor acht die Treppe zu den Büros des K11 in den ersten Stock hinaufschleppte. Das Baby hatte die halbe Nacht geschrien. Cosima war zwar rücksichtsvoll ins Gästezimmer umgezogen, aber er hatte trotzdem kaum Schlaf gefunden. Dann hatte ihn ein Unfall auf der B5 19 kurz vor der Ortseinfahrt Hofheim eine geschlagene halbe Stunde aufgehalten, und zu allem Unglück trat Kriminaldirektor Nierhoff ausgerechnet in dem Moment aus seiner Bürotür, als Bodenstein die letzten Stufen nahm.
»Guten Morgen, guten Morgen.« Nierhoff lächelte leutselig und rieb sich die Hände. »Glückwunsch! Das ging ja wirklich schnell. Wirklich gute Arbeit, Bodenstein.«
Der blickte seinen Chef irritiert an und begriff, dass Nierhoff ihm aufgelauert hatte. Bodenstein konnte es überhaupt nicht leiden, auf diese Art überfallen zu werden, bevor er nicht wenigstens einen Schluck Kaffee getrunken hatte.
»Guten Morgen«, sagte er. »Wovon sprechen Sie?«
»Wir gehen gleich mit der Nachricht an die Presse«, fuhr Nierhoff unbeirrt fort. »Ich habe unseren Pressesprecher schon instruiert und sämtliche ...«
»Mit was wollen Sie an die Presse gehen?«, unterbrach Bodenstein den Redefluss des Kriminaldirektors. »Habe ich irgendetwas verpasst?«
»Die Morde sind aufgeklärt«, frohlockte Nierhoff. »Sie haben doch den Täter ermittelt. Damit ist die Sache vom Tisch.«
»Wer behauptet das?« Bodenstein nickte zwei Kollegen zu, die an ihm vorbeigingen.
»Kollegin Fachinger«, erwiderte Nierhoff, »sie sagte mir, dass ...«
»Moment.« Bodenstein war es egal, ob er unhöflich war oder nicht. »Wir haben gestern die Leiche einer Bekannten des Mannes gefunden, der irgendwann an beiden Tatorten war, aber uns fehlen bisher sowohl die Mordwaffe als auch ein eindeutiger Beweis dafür, dass er die Morde tatsächlich begangen hat. Wir haben die Fälle ganz und gar noch nicht gelöst.«
»Wieso wollen Sie es so kompliziert machen, Bodenstein? Der Mann hat aus Habgier getötet, alle Spuren weisen darauf hin. Und dann hat er seine Mitwisserin getötet. Wir werden ihn früher oder später fassen, und dann kriegen wir ein Geständnis. « Für Nierhoff schien die Sachlage glasklar. »Die Pressekonferenz ist für elf Uhr anberaumt. Ich hätte Sie gerne dabei.«
Bodenstein konnte es nicht fassen. Der Tag schien sich tatsächlich noch schlechter zu entwickeln, als er begonnen hatte.
»Pünktlich um elf unten im großen Besprechungsraum«, der Kriminaldirektor ließ keinen Einwand zu. »Danach möchte ich Sie in meinem Büro sprechen.«
Damit verschwand er mit einem zufriedenen Lächeln.
Bodenstein riss verärgert die Tür zum Büro von Hasse und Fachinger auf. Beide waren schon da und saßen hinter ihren Schreibtischen. Hasse drückte rasch auf eine Taste seiner Computertastatur, aber Bodenstein war es in diesem Moment egal, ob er wieder privat im Internet surfte, auf der Suchenach einem passenden Ort in südlichen Gefilden für die Zeit nach seiner Pensionierung.
»Frau Fachinger«, wandte sich Bodenstein an seine jüngste Mitarbeiterin, ohne sich mit einem Gruß aufzuhalten, »kommen Sie mit in mein Büro.«
So verärgert er auch war, er wollte sie nicht in Gegenwart eines Kollegen zur Rede stellen.
Wenig später betrat sie sein Büro mit einem ängstlichen Gesichtsausdruck und schloss behutsam die Tür hinter sich. Bodenstein setzte sich hinter seinen Schreibtisch, forderte sie aber nicht auf, Platz zu nehmen.
»Wie kommen Sie dazu, dem Kriminaldirektor zu erzählen, wir hätten die beiden Mordfälle gelöst?«, fragte er
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