Tiefe Wunden
von Monika Krämer an der Tagesordnung gewesen seien. War Watkowiak in die Wohnung zurückgekehrt, nachdem Pia und Behnke gegangen waren? Hatte er die junge Frau auf diese bestialische Weise ermordet? Sie war nicht sofort tot gewesen, trotz ihrer entsetzlichen Verletzungen hatte sie sich bis zur Tür geschleppt und versucht, in den Flur zu gelangen. Bodenstein rieb sich das Gesicht mit beiden Händen. Er sah so mitgenommen aus, wie Pia es noch nie vorher erlebt hatte.
»Manchmal wünschte ich, ich wäre Förster geworden oder Staubsaugervertreter«, sagte Bodenstein dumpf, nachdem sie schon eine Weile gefahren waren. »Das Mädchen war kaum älter als Rosalie. An so etwas werde ich mich nie im Leben gewöhnen.«
Pia warf ihm einen raschen Seitenblick zu. Sie fühlte sich versucht, ihrem Chef die Hand zu drücken oder irgendeine andere tröstende Geste zu machen, aber sie tat es nicht. Obwohl sie seit zwei Jahren beinahe täglich mit ihm zusammenarbeitete, war noch immer eine Distanz zwischen ihnen, die ihr das verbot. Bodenstein war alles andere als ein kumpelhafter Typ, seine Emotionen verbarg er normalerweise gut. Manchmal fragte Pia sich, wie er das aushielt – die entsetzlichen Bilder, den Druck, der auf ihm lastete und dem er nie wirklich Luft zu machen schien, weder durch Flüche noch durch einen Wutausbruch. Sie vermutete, dass diese übermenschliche Selbstbeherrschung Ergebnis seiner strengenErziehung war. Das war wohl das, was man als Contenance bezeichnete. Haltung bewahren. Um jeden Preis und in jeder Situation.
»Ich auch nicht«, antwortete sie nun. Sie mochte zwar äußerlich den Eindruck erwecken, als ließe sie das alles unberührt, aber in ihrem Innern sah es völlig anders aus. Auch endlose Stunden in der Rechtsmedizin hatten sie nicht abstumpfen oder gleichgültig gegen die Schicksale und Tragödien der Menschen werden lassen, die sie nur als Leichen kennenlernte. Aus gutem Grund wurden Ersthelfer an Schauplätzen von Katastrophen von Psychologen betreut, denn der Anblick von verstümmelten Toten brannte sich in das Gehirn ein und ließ sich durch nichts vertreiben. Wie Pia, so suchte auch Bodenstein sein Heil in der Routine.
»Diese Nachricht auf ihrem Handy«, sagte er mit sachlicher Stimme, »könnte der Beweis dafür sein, dass Watkowiak tatsächlich hinter den Morden an Goldberg und Schneider steckt.«
Die Spurensicherung hatte im Handy von Monika Krämer eine SMS von Robert Watkowiak vom Vortag um 13:34 Uhr mit dem Wortlaut SÜSSE, WIR SIND REICH! HAB AUCH DEN ANDEREN ALTEN UM DIE ECKE GEBRACHT. JETZT GEHT’S AB IN DEN SÜDEN! gefunden.
»Dann sind unsere Mordfälle wohl gelöst«, folgerte Pia ohne echte Überzeugung. »Watkowiak hat aus Habgier Goldberg und Schneider getötet, die ihn als Stiefsohn von Vera Kaltensee gut kannten und deshalb arglos hereingelassen haben. Danach hat er Monika Krämer als Mitwisserin getötet.«
»Was halten Sie davon?«, fragte Bodenstein. Pia dachte einen Augenblick nach. Sie wünschte sich nichts mehr, als dass es eine so einfache Erklärung für die drei Morde gab, aber insgeheim zweifelte sie daran.
»Ich weiß nicht«, erwiderte sie nach kurzem Nachdenken.»Mein Gefühl sagt mir, dass mehr hinter der ganzen Sache steckt.«
Der nasse Mist in den Pferdeboxen war schwer wie Blei, der Ammoniakgeruch raubte ihr den Atem, aber Pia achtete ebenso wenig darauf wie auf ihren schmerzenden Rücken und das Ziehen in den Armen. Sie musste sich irgendwie von ihren Gedanken ablenken, und da gab es kaum etwas Besseres als harte körperliche Arbeit. Genug Kollegen suchten in einer solchen Situation Vergessen im Alkohol, und Pia konnte das sogar verstehen. Verbissen schaufelte sie Gabel um Gabel auf den Miststreuer, den sie direkt vor den Stall manövriert hatte, bis die Zinken über den blanken Betonboden schabten. Den letzten Rest kratzte sie mit einer Schaufel heraus, dann hielt sie atemlos inne und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.
Bodenstein und sie waren ins Kommissariat gefahren und hatten den Kollegen Bericht erstattet. Die Fahndung nach Robert Watkowiak war verschärft worden, eine Weile hatten sie erwogen, die Bevölkerung mittels eines Appells über den lokalen Rundfunk in die Suche mit einzubeziehen. Pia war gerade mit der Arbeit fertig, als ihre Hunde, die jede ihrer Bewegungen aufmerksam verfolgt hatten, aufsprangen und freudig bellend davonrannten. Nur Sekunden später hielt der grüne Pick-up vom Opel-Zoo neben dem
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