Tiefe Wunden
lautes Hupen aus seinen düsteren Gedanken. Ein schwarzer Mercedes hielt neben ihm an. Der Fahrer ließ das Fenster an der Beifahrerseite herunter und beugte sich herüber.
»Hey, Robert! Kann ich dich irgendwohin mitnehmen?«, fragte er. »Na komm schon, steig ein!«
Robert zögerte einen Augenblick, dann zuckte er die Achseln. Alles war besser als Laufen.
»Die Köter kläffen schon den ganzen Tag. Ich hab heute zig Beschwerden gekriegt«, klagte der Hausmeister der Wohnanlagedes Rotdornwegs, als er mit Bodenstein und Pia im engen Aufzug in den obersten Stock des Gebäudes fuhr. »Aber die sind oft tagelang nicht da und lassen die Hunde einfach bellen und in die Wohnung kacken.«
Ostermann hatte beim zuständigen Richter Gefahr im Verzug geltend gemacht und den Hausdurchsuchungsbeschluss für die Wohnung von Monika Krämer in kürzester Zeit erhalten. Der Aufzug hielt mit einem Ruck, der Hausmeister öffnete die zerkratzte und beschmierte Tür und quasselte weiter.
»... kaum noch anständige Leute hier in diesem Haus. Die meisten sprechen noch nicht mal deutsch! Aber die Miete zahlt bei denen immer das Sozialamt. Dazu sind sie noch rotzfrech. Eigentlich müsste ich hier das Doppelte verdienen, bei dem ganzen Ärger, den man den ganzen Tag hat.«
Pia verdrehte genervt die Augen. Vor der Wohnung am Ende des düsteren Flures warteten zwei uniformierte Beamte, drei Leute von der Spurensicherung und ein Mann von einem Schlüsselnotdienst. Bodenstein klopfte an die Wohnungstür.
»Hier ist die Polizei!«, rief er. »Öffnen Sie die Tür!«
Keine Reaktion. Der Hausmeister schob ihn beiseite und hämmerte gegen das Holz.
»Macht die Tür auf! Wird’s bald!«, rief er. »Ich weiß doch, dass ihr da seid, ihr Penner!«
»Na, jetzt machen Sie mal halblang«, bremste Bodenstein den Mann.
»Eine andere Sprache verstehen die doch nicht«, brummte der Hausmeister. Die Tür der gegenüberliegenden Wohnung wurde einen Spaltbreit geöffnet und gleich wieder geschlossen. Die Polizei war in dieser Wohnanlage offenbar kein ungewöhnlicher Besuch.
»Machen Sie die Tür auf«, sagte Bodenstein zum Hausmeister, der eilfertig nickte. Er versuchte es mit dem Zweitschlüssel,aber vergeblich. Der Mann vom Schlüsselnotdienst hatte das Zylinderschloss innerhalb weniger Sekunden geknackt, die Tür ging trotzdem nicht auf.
»Die haben wohl was von innen dagegengestellt«, vermutete der Schlosser und trat einen Schritt zurück. Zwei Beamte stemmten sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Sperrholztür und verschafften sich so Zugang zu der Wohnung. Die Hunde kläfften wie die Wahnsinnigen.
»Scheiße«, murmelte einer der beiden, als er erkannte, was ihnen den Zugang erschwert hatte. Direkt hinter der Tür lag der leblose und blutverschmierte Körper der Mieterin Monika Krämer.
»Ich glaub, ich muss kotzen«, stieß der Beamte hervor und drängte sich hastig an Pia vorbei zurück in den Flur. Pia zog wortlos Handschuhe an und beugte sich über die Leiche der jungen Frau, die mit angezogenen Beinen und dem Gesicht zur Tür lag. Die Leichenstarre hatte noch nicht eingesetzt. Pia ergriff die Frau an der Schulter und drehte sie auf den Rücken. Sie hatte in den Jahren ihrer Tätigkeit bei der Kripo schon viele schreckliche Bilder gesehen, aber die Brutalität, mit der man den Körper der jungen Frau verstümmelt hatte, traf sie mit Urgewalt. Man hatte Monika Krämer regelrecht aufgeschlitzt, der Schnitt reichte von der Kehle bis zum Schambein, sogar der Slip war durchgeschnitten worden. Ihre Eingeweide quollen aus der offenen Bauchdecke.
»O Gott«, hörte Pia ihren Chef mit erstickter Stimme hinter sich sagen. Sie warf ihm einen raschen Blick zu. Bodenstein konnte einiges vertragen, aber jetzt war er weiß wie eine Wand. Pia wandte sich wieder der Leiche zu und sah, was Bodenstein so sehr erschüttert hatte. Ihr Magen zog sich zusammen, sie kämpfte gegen den aufsteigenden Brechreiz. Der Mörder hatte sich nicht damit zufriedengegeben, die junge Frau zu töten, er hatte ihr auch noch beide Augen ausgestochen.
»Lassen Sie mich fahren, Chef.« Pia hielt die Hand auf, und Bodenstein reichte ihr widerspruchslos die Autoschlüssel. Sie hatten ihre Arbeit in der Wohnung getan und mit allen Nachbarn nebenan und einen Stock tiefer gesprochen. Mehrere hatten einen heftigen Streit und dumpfe Schläge gegen elf Uhr aus der Wohnung vernommen, aber alle gaben unisono an, dass handgreifliche und lautstarke Streitereien in der Wohnung
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