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Tiefe Wunden

Titel: Tiefe Wunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Traktor, und Christoph stieg aus. Seine Miene war besorgt, als er nun mit raschen Schritten auf Pia zukam.
    »Hey, meine Süße«, sagte er leise und schloss sie fest in die Arme. Pia lehnte sich an ihn und spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen und über ihre Wangen liefen. Es war so erleichternd, für einen Moment schwach sein zu dürfen. Bei Henning hatte sie sich das nie erlaubt.
    »Ich bin froh, dass du da bist«, murmelte sie.
    »So schlimm?«
    Sie spürte seinen Mund in ihrem Haar und nickte stumm. Eine ganze Weile hielt Christoph sie fest und streichelte ihr tröstend über den Rücken.
    »Du legst dich jetzt in die Badewanne«, sagte er bestimmt. »Ich hole die Pferde rein und füttere sie. Außerdem habe ich uns was zum Essen mitgebracht. Deine Lieblingspizza.«
    »Mit extra Thunfisch und Sardellen?« Pia hob den Kopf und lächelte zaghaft. »Du bist ein Schatz.«
    »Ich weiß.« Er zwinkerte ihr zu und küsste sie. »Und jetzt ab mit dir in die Wanne.«
    Als sie eine halbe Stunde später mit feuchten Haaren in einen Frotteebademantel gewickelt aus dem Badezimmer kam, fühlte sie sich trotz des ausgiebigen Bades noch immer innerlich verschmutzt. Die Brutalität des Mordes war entsetzlich genug. Dass sie noch ein paar Stunden zuvor mit der jungen Frau gesprochen hatte, machte die ganze Situation bedeutend schlimmer. Hatte Monika Krämer sterben müssen, weil die Polizei bei ihr aufgetaucht war?
    Christoph hatte mittlerweile auch die Hunde gefüttert, in der Küche den Tisch gedeckt und eine Flasche Wein geöffnet. Der verführerische Duft nach Pizza erinnerte Pia daran, dass sie heute den ganzen Tag nichts gegessen hatte.
    »Möchtest du darüber reden?«, fragte Christoph, als sie am Küchentisch saßen und lauwarme Pizza al Tonno mit den Fingern aßen. »Vielleicht tut dir das gut.«
    Pia blickte ihn an. Seine Sensibilität war unglaublich. Natürlich tat es gut zu reden. Es loszuwerden, zu teilen war eigentlich das einzige Mittel, um das Erlebte zu verarbeiten.
    »So etwas Grauenhaftes habe ich noch nie gesehen«, sagte sie und seufzte. Christoph schenkte ihr noch etwas Wein nach und lauschte aufmerksam, als Pia sachlich schilderte, was heute geschehen war. Sie erzählte von ihrem morgendlichenBesuch in der Wohnung von Monika Krämer, von Watkowiaks Flucht und Behnkes Ausraster.
    »Weißt du«, sagte sie und trank einen Schluck Wein, »man kann alles bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, auch wenn es immer furchtbar ist. Aber diese wahnsinnige Brutalität, diese Grausamkeit, mit der das Mädchen umgebracht wurde, das macht mich wirklich fertig.«
    Pia aß das letzte Stück Pizza und wischte die fettigen Finger an einem Stück Küchenrolle ab. Sie fühlte sich völlig ausgelaugt und gleichzeitig bis zum Platzen angespannt. Christoph stand auf und räumte die leeren Pizzaschachteln in den Mülleimer. Dann trat er hinter Pia, legte seine Hände auf ihre Schultern und begann sanft, ihre verkrampfte Nackenmuskulatur zu massieren.
    »Das einzig Gute an so einer Sache ist, dass ich dann glasklar den Sinn meiner Arbeit erkenne.« Pia schloss die Augen. »Das Schwein, das das getan hat, will ich finden und für immer hinter Schloss und Riegel bringen.«
    Christoph beugte sich über sie und küsste ihre Wange.
    »Du siehst wirklich fertig aus«, sagte er leise. »Es tut mir so leid, dass ich dich ausgerechnet jetzt allein lassen muss.«
    Pia wandte sich zu ihm um. Morgen schon würde er nach Südafrika fliegen. Seine einwöchige Reise nach Kapstadt zur Konferenz der World Association of Zoos and Aquariums, kurz WAZA, war seit Monaten geplant. Pia vermisste ihn schon jetzt mit jeder Faser ihres Herzens.
    »Es sind ja nur acht Tage.« Sie gab sich cooler, als sie sich in Wirklichkeit fühlte. »Und ich kann dich jederzeit anrufen.«
    »Du rufst mich aber wirklich an, wenn irgendetwas ist, oder?« Christoph zog sie an sich. »Versprichst du mir das?«
    »Hoch und heilig.« Pia schlang ihre Arme um seinen Hals.
    »Aber noch bist du ja da. Und das sollten wir ausnutzen.«
    »Findest du?«
    Statt einer Antwort gab sie ihm einen Kuss. Am liebsten hätte sie ihn nie wieder losgelassen. Henning war früher oft auf Reisen gewesen, manchmal hatte sie ihn tagelang nicht erreichen können, aber das hatte sie weder beunruhigt noch gestört. Bei Christoph war das anders. Seit sie sich kannten, waren sie kaum länger als vierundzwanzig Stunden voneinander getrennt gewesen, und der bloße Gedanke daran, dass sie

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