Tiefer - Im Sog der Lust (German Edition)
die Absage der Reise gesprochen. Und sie würde abgesagt werden. Bess kannte ihren Ehemann zu gut, um etwas anderes zu glauben. Sie presste den Hörer einen Augenblick gegen ihre Stirn und versuchte, ruhig zu bleiben.
„Offenbar hast du dich schon entschieden“, sagte sie dann. „Okay. Die Jungs werden nach Connors Abschlussfeier zu mir kommen und nicht erst Anfang Juli. Du hast recht. Ich freu mich drauf, sie hier zu haben.“
„Gut. Ich gebe dir dann mal Robbie.“
Bevor Bess Einspruch einlegen konnte, hörte sie schon, wie Andy den Namen ihres jüngsten Sohnes rief. Eine Minute später hatte sie ihn am Telefon. „Mom?“
„Hey, Honey.“
„Was ist los?“ Er klang besorgt. Das tat er viel zu oft, und Bess tat es in der Seele weh, ihn wieder enttäuschen zu müssen.
„Honey, Dad hat mir gerade gesagt, dass er zu einer Konferenz nach Palm Springs muss. Also wirst du mit Connor schon direkt nach dem letzten Schultag zu mir kommen.“
Stille. Nur Robbies Atem. Bess klopfte sich wieder mit dem Hörer gegen die Stirn, kämpfte gegen die Gefühle an, die in ihrem Inneren tobten.
„Es tut mir leid, Honey. Ich bin sicher, dass Dad eure Reise nicht absagen würde, wenn diese Konferenz nicht wichtig wäre.“
„Ich bin sicher, dass er die Reise nicht absagen würde, wenn sie nicht auf die Konferenz gehen würde“, erwiderte Robbie mit schneidender Stimme.
Dass ihr Sohn von „ihr“ wusste, war für Bess schlimmer gewesen, als es selber herauszufinden. Ihre Fingernägel gruben sich wieder in ihre Handfläche, fanden die Rillen, die sie beim letzten Mal hinterlassen hatten. „Robbie …“
„Mach dir nichts draus, Mom.“ Seine Stimme zitterte ein wenig, aber er hatte sich im Griff. „Ist schon okay. Conn und ich werden direkt nach Schulschluss zu dir kommen. Gut. Cool.“
Bess zwang sich, ihrer Stimme einen fröhlichen Klang zu geben. „Hey. Erinnerst du dich, dass ich dir mal von dem Laden erzählt habe, in dem ich früher gearbeitet hab? Sugarland? Ich kenne den Besitzer, und er hat gesagt, dass du und Connor den Sommer über gerne bei ihm arbeiten könnt. Was hältst du davon?“
Robbie gab sich Mühe, begeistert zu klingen, scheiterte aber kläglich. „Toll. Conn hat sich schon Sorgen gemacht, ob er wohl noch einen Job kriegt, wenn wir nicht gleich zum Sommeranfang da sind. Und ich auch. Du weißt schon, ein bisschen Geld fürs College verdienen und so.“
„Mach dir keine Sorgen wegen des Colleges, Robbie. Und Connor auch nicht. Okay?“ Bess warf einen Blick in Nicks Richtung, doch er hatte den Tisch verlassen. Ihr Magen sank, aber in der nächsten Sekunde hörte sie ihn im Wohnzimmer rumoren. Also war er nicht komplett verschwunden. „Entschuldige, Schätzchen, was hattest du gesagt?“ Sie hatte seinen letzten Satz nicht mitbekommen, weil sie abgelenkt gewesen war.
„Ist egal.“
„Nein, Robbie. Sag’s mir. Hier tobt nur gerade ein fürchterlicher Sturm, und ich hab dich nicht gehört.“
„Ich hab gefragt, ob ich nicht früher kommen kann. So wie Dad es wollte. Kann ich die letzten paar Schultage nicht ausfallen lassen?“
„Nein, Robbie, das kannst du nicht.“ Bess schaute ins Wohnzimmer und sah Nicks langgezogenen Schatten. „Du musst bis zum Ende bleiben.“
Eine weitere Welle des Schweigens wogte durch die Leitung, bis Robbie schließlich laut seufzte. „Okay.“
„Ich vermiss euch“, sagte Bess. „Dich und Connor.“
„Wie ist es mit Dad?“, hakte Robbie scharfsinnig nach. „Vermisst du ihn auch?“
„Ich vermisse dich und Connor“, wiederholte Bess, und als Robbie auflegte, überlegte sie, wer ihm beigebracht hatte, so gemein zu sein. Hatte er es von Andy … oder von ihr?
12. KAPITEL
Damals
Andy war dran, Bess anzurufen, aber bis jetzt hatte das Telefon noch nicht geklingelt. Sie hatte ihm gesagt, wann sie nach der Arbeit zu Hause sein würde und die Familienmitglieder, die diese Woche gemeinsam mit ihr im Haus verbrachten, gewarnt, dass sie einen Anruf erwartete, aber auch wenn sie sich extra schnell geduscht und angezogen hatte, das Telefon hatte trotzdem nicht geklingelt. Es war zwar erst zwanzig Minuten nach der verabredeten Zeit, aber das war ihrer Meinung nach lang genug.
Bess ließ sich überreden, beim Rommé mitzumachen, doch sie war nicht bei der Sache. Trotzdem führte sie am Ende, was ihr von ihrem Onkel den Titel Kartenhai einbrachte. Dazu erfand er so viele Grimassen, dass Bess vor Lachen ihre Limonade durch die Nase prustete und im
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