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Tiefer Schmerz

Tiefer Schmerz

Titel: Tiefer Schmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Zigarette, die zu diesem Zeitpunkt cirka vier Millimeter lang war. Söderstedt fragte sich, wie es wohl weiterginge. Die Kippe war ein richtiger cliffhanger. Würde sie wohl noch einen Lungenzug überstehen? Fortsetzung folgt.
    »Koutjschmin?« versuchte er.
    Svitlytjnyj nickte seitwärts und vollführte eine schaukelnde Geste mit der Hand. »Ungefähr so«, sagte er.
    »Franz Kouzmin. Sein Straftatenregister ist nicht besonders umfassend. Es handelt sich hauptsächlich um Delikte, die mit seinem langjährigen und intensiven Alkoholmißbrauch zusammenhängen. Bagatellsachen. Einbruch, Hehlerei, Trunkenheit. Er ist kaum ein großer Verbrecher. Wurde Ende September 1981 von seiner Tochter als vermißt gemeldet. Er war offenbar Witwer.«
    »Steht da etwas über die Nase?« fragte Söderstedt.
    »Die fehlende Nase« sagte Svitlytjnyj und erhob sich; es dauerte ungefähr eine halbe Minute. »Darf ich vorschlagen, daß wir in den Computerraum hinübergehen?«
    Ein Mysterium, dachte Söderstedt. Die mikroskopisch kleine Zigarette war spurlos verschwunden. Statt dessen steckte eine frisch gerollte und angezündete Zigarette im selben Mundwinkel. Es war geschehen, ohne daß er, der routinierte finnlandschwedische Detektiv, etwas gesehen hatte.
    »Haben Sie einen Computerraum?« sagte er zerstreut und stand auf.
    Svitlytjnyj kicherte ein wenig und nahm einen tiefen Lungenzug. »Das hätten Sie nicht gedacht, wie?« sagte er.
    Sie traten hinaus auf den Flur und wanderten durch die Unendlichkeit.
    »Wir sind dabei, das gesamte alte Archiv auf das neue EDV-System umzustellen«, sagte der Kommissar, »und bei dieser Gelegenheit übersetzen wir gleich alle Akten ins Englische. Das dauert seine Zeit. Wir sind bis zum Buchstaben ›L‹ gekommen. Sie haben Glück.«
    »Und was war mit der Nase?« insistierte Söderstedt.
    »Der fehlenden Nase«, insistierte Svitlytjnyj und öffnete eine Tür.
    Sie betraten ein Hackerparadies. Die Computerausrüstung schien denkbar jüngsten Datums zu sein. Mehrere Männer und Frauen saßen an modegerecht blitzenden Terminals und bedienten ihre Tastaturen. Es sah aus wie in einer amerikanischen Börsenhaifirma.
    »Na, jetzt sind Sie platt«, sagte Svitlytjnyj und grinste.
    »Wie können Sie sich so etwas leisten?« entfuhr es Söderstedt undiplomatisch.
    »Mafiagelder«, sagte der Kommissar ernst.
    Mehrere Mitarbeiter im Raum lachten allerdings schallend.
    »Ich erkläre Ihnen kurz die Bedienung«, fuhr Svitlytjnyj ruhig fort und tat es.
    Und so las Arto Söderstedt in aller Ruhe die Akte des Franz Kouzmin – in tadellosem Englisch.
    Die zwölfjährige Tochter, die im Kinderheim lebte, hatte ihn Ende September als vermißt gemeldet, als sie ihren monatlichen Besuch bei ihm machte. Seine Frau war offenbar bereits zwei Jahre nach der Geburt der Tochter an Krebs gestorben, und weil er immer mehr trank, war ihm die Tochter fortgenommen und im Kinderheim untergebracht worden. Es gab einen Auszug aus einem Verhör mit ihr.
    Sie hatte gesagt: ›Und gerade wo Papa aufgehört hatte zu trinken. Seit einem Monat war er völlig nüchtern. Und ganz, ganz froh.‹ Doch sie hatte nicht gewußt, warum.
    Okay, dachte Söderstedt und hielt inne. Kouzmin hörte auf zu trinken und war froh, erwartungsvoll. Wie vor einer Reise. Nach Schweden. Offenbar hatte er etwas gefunden, und dieses Etwas veranlaßte ihn, sich aus seinem langjährigen Alkoholmißbrauch herauszukämpfen und an Bord der M/S Cosmopolit mit dem Ziel Frihamnen in Stockholm zu gehen.
    Arto las weiter.
    Nun fand das Nasenproblem seine Erklärung. Er hätte es sich denken sollen. Sie alle hätten es sich denken sollen.
    Franz Kouzmin wurde von einer ukrainischen Frau adoptiert, die sich in Buchenwald seiner angenommen hatte, wo seine Eltern umgekommen waren. Er selbst wurde Opfer eines medizinischen Experiments, bei dem es um die Atmung ging. Wie wichtig waren die Atemwege in der Nase für die Atmung?
    Um Antwort auf diese Frage zu erhalten, hatten die SSÄrzte in Buchenwald dem kleinen Franz die Nase abgesägt.
    Es zeigte sich, daß man ohne Nase leben konnte.
    Das war gut zu wissen.
    Danach wurde es schwerer. Wenn mir jemand die Nase abgesägt hätte, dachte Söderstedt, wäre ich wohl auch Alkoholiker geworden.
    Dann kam es.
    Ein Name.
    Er erstarrte und rief instinktiv über sein Handy in Stockholm an.
    Kommissar Jan-Olov Hultin meldete sich. Er sagte: »Ich wollte dich auch gerade anrufen, Arto. Du mußt nach Weimar fahren.«
    Arto Söderstedt

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