Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tiefer Schmerz

Tiefer Schmerz

Titel: Tiefer Schmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
Vom Netzwerk:
immer versöhnlicher wurde. Sie hatte eine Schönheit, die sich nicht einschmeichelte, wie es bei der italienischen zuweilen der Fall sein konnte. Es war eine Schönheit, die ihre Makel nicht zu verbergen suchte. Statt dessen schien die Stadt zu sagen: So bin ich eben, take it or leave it. Ungefähr wie Onkel Pertti.
    Er kam an der berühmten Oper und der Universität vorbei, und die Gebäude waren wirklich schön. Er war nicht einmal mehr sicher, daß der Verfall tragisch war. Vielleicht sollte der Gang der Zeit in einem Kunstwerk bewahrt bleiben. Vielleicht sollte es nicht restauriert und geschmückt und geschminkt werden und versuchen, etwas anderes zu sein, als es war. Angefressen von der Zeit – wie alles übrige auf Erden. Sollte die Kunst wirklich aus der Zeit herausgelöst und mit einem Ewigkeitswert versehen werden, der grundfalsch war? Und wenn die Alternative Auslöschung hieß? Wenn die Zeit nur ein Saboteur war, eine Zerstörerin ewiger Werte? Sollte man ihr dann nicht entgegenwirken?
    Das Argument des plastischen Chirurgen.
    Gerade als er fühlte, daß er vielleicht etwas richtig Wesentlichem auf die Spur gekommen war, gelangte er – ohne es beabsichtigt zu haben – zurück zum Polizeipräsidium. Und die Tür war offen.
    Er irrte durch verfallene Flure und merkte, daß ihm das Wort ›Verfall‹ ein bißchen zu häufig in den Sinn kam. Wenn genau diese Flure sich in Schweden oder Finnland befänden, würde er sie dann auch als verfallen bezeichnen? Oder war das Wort ganz einfach unauflöslich mit dieser Stadt verbunden?
    Dabei fiel ihm ein, daß Odessa nicht nur eine Stadt war. Es war auch eine Organisation. Eine sehr unangenehme Organisation. Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen. Im Jahre 1947 gegründet, um hohen Nazis zu einer neuen Identität in Südamerika oder im Mittleren Osten zu verhelfen. 1952 ersetzt durch Kameradenwerke.
    Der Zusammenhang war ihm nicht richtig klar, doch es gab ihn. Er fühlte es besonders deutlich, als er an der Tür klingelte, auf der in kyrillischen Buchstaben etwas wie
    ›Kommissar Alexej Svitlytjnyj‹ stand. Den sollte er auf jeden Fall treffen.
    Alexej Svitlytjnyj saß an seinem Tisch und war vorgewarnt. Genau wie Söderstedt vermutet hatte, gab es keinen Computer auf dem majestätischen Schreibtisch. Dagegen hing eine sonderbar gerollte Zigarette wie angeleimt im Mundwinkel des kräftigen, untersetzten Mannes im tadellosen Oststaatenanzug. Der Anzug sah aus wie die, die sowjetische Führer zu tragen pflegten, wenn sie auf irgendwelchen Erhöhungen über dem Roten Platz standen und steif vorbeiziehenden Militärparaden winkten. Arto Söderstedt hatte immer den Verdacht gehegt, daß sie ausgestopft und ferngesteuert waren.
    Svitlytjnyj war nichts von beidem, aber ziemlich träge. Sein Englisch indessen war auf einem unerwartet hohen Niveau. »Ich habe die Angelegenheit mit unserem Justizministerium geklärt«, sagte er, nachdem die gegenseitige Vorstellung erledigt war. »Es ist kein Problem, daß Sie als Repräsentant von Europol unser Ermittlungsmaterial einsehen. Dagegen waren wir eher skeptisch, ob wir es um den halben Erdball an die schwedische Polizei schicken sollten.«
    »Sie haben den Nasenlosen also identifiziert?« sagte Söderstedt.
    Svitlytjnyj nickte schwer wie ein alter Braunbär.
    Wackelpuppe, dachte Söderstedt und freute sich über ein Wort, das er lange nicht benutzt hatte. Diese Plastikpuppen mit rauhem Pelz und losem Kopf, der unendlich lange vor und zurück schaukelte, wenn man ihn in Bewegung setzte.
    »Das ist korrekt«, sagte Svitlytjnyj und reichte Söderstedt mit einer trägen Bewegung eine abgegriffene braune Mappe über den Tisch, auf der Hammer und Sichel prangten. »Aus der Sowjetzeit«, fügte er mit einer Geste zu dem Hammer-und-Sichel-Zeichen hinzu. »Auch das ein Grund für die Auslieferunsgproblematik.«
    Söderstedt schlug die Mappe auf und starrte auf ein Dickicht kyrillischer Buchstaben.
    »Es ist in russisch«, sagte er unbedacht.
    »Das ist es mitnichten«, sagte Svitlytjnyj. »Es ist ukrainisch. Eine Sprache, die von siebenmal so vielen Menschen gesprochen wird wie Schwedisch.«
    »Verzeihung«, sagte Söderstedt verbindlich.
    »Drehen Sie die Seite um«, sagte Svitlytjnyj. »Dort finden Sie ein Foto.«
    Söderstedt tat, wie ihm geheißen. Ein sehr seltsames Wesen starrte ihn mit dunklem Blick an.
    Es hatte keine Nase.
    »Er heißt Kouzmin«, sagte der Kommissar und nahm einen Lungenzug aus der festgewachsenen

Weitere Kostenlose Bücher