Tiefer Schmerz
einen großen Beefeater ein und sagte: »Wenn ich nicht daran gehindert würde, den Fall zu diskutieren, könnte ich auch das eine oder andere über Angst vor Tieren erzählen.«
»Tieren erzählen«, krächzte der Papagei aus dem Haus. Paul und Maja lachten laut. Da konnte auch Cilla sich nicht mehr halten. Sie lachte, setzte sich mit einem lauten Plumps an den Tisch und goß sich einen gigantischen Beefeater ein, nahm einen Schluck, der zwei normalen Schnäpsen entsprach, und sagte: »Okay, zum Teufel. Ich befreie dich von deiner Schweigepflicht. Es ist bestimmt ebensogut, wenn du die Sache los wirst.«
Und Paul Hjelm erzählte. Während sich die Dunkelheit über die Gränöbucht senkte und der ein wenig verhangene Tag mit einer golden schimmernden Abenddämmerung seinem Ende zuging, erzählte er von Vielfraßen unter Rauschgifteinfluß und von osteuropäischen Huren, vom sonderbaren Schicksal eines Handyräubers und unsichtbaren Verfolgern in Skansen, von einer Machofrau in roter Lederjacke und von einem ausgesprochen ungeeigneten Leiter einer Flüchtlingsunterkunft. Maja lauschte hingerissen und war mehrmals nahe daran, aus dem Rollstuhl zu purzeln. Dann und wann streute sie Kommentare ein, die teils saftig waren, teils klug. Aber am stimulierendsten war, daß selbst Cilla zuzuhören schien, nicht nur, weil sie ein wenig angetrunken und müde war, nicht nur, weil sie es versprochen hatte, sondern aus wirklichem Interesse.
Als er fertig war, schwebte die Sonne noch über dem Wasser am Horizont. Paul griff nach Cillas Hand, und Maja sagte: »Geht ihr noch eine Weile auf den Steg und genießt die Stimmung. Ich fahre rein und lege mich hin.«
»Kommst du allein klar?« fragte Cilla.
Maja legte die Hand über Pauls und Cillas verschlungene Hände. »Im schlimmsten Fall«, sagte sie, »liege ich auf dem Fußboden und warte. Das habe ich schon mehr als einmal gemacht.«
Sie gingen zum Wasser hinunter. Der Steg, der plötzlich eine sündige Vergangenheit bekommen hatte, ragte mitten in ein glitzerndes orangefarbenes Leuchten hinaus, wie ein altes schwarzes Schiffswrack auf einem romantischen Gemälde. Weil die Gränöbucht windstill bis zum Horizont dalag und der eine und andere äußerst trockene Dry Martini durch ihre Kehlen gelaufen war, kam ihnen der Maiabend nicht besonders kalt vor. Als sie auf den Steg hinaustraten, zog Cilla ihre Kleider aus, Stück für Stück, ganz ruhig und selbstverständlich, bis sie völlig nackt in dem dunkelorangefarbenen Leuchten stand. Es tanzte ein bißchen in Pauls Kopf. Er betrachtete den zierlichen blonden, lichtumflossenen Körper, der im großen und ganzen seine Sexualität geprägt hatte. Da stand die Mutter seiner beiden Kinder, die alt genug waren, selbst Kinder zu bekommen, und war jung. Ewig jung. Sie fuhr langsam und sinnlich mit den Händen durch das zerzauste blonde Haar. Es war ein Frühlingsgeschenk, so viel verstand er. Er trat zu ihr und schlang die Arme um sie. Sie löste seine Kleidung, das hatte sie lange nicht getan. Schließlich war auch er nackt, und sie standen eng umschlungen in einem langsam vergehenden Licht auf dem alten Steg. Er hob sie hoch, sie schlug die Beine um ihn, sie machte sich weit und er drang ein, und es wurde dunkel auf dem Steg. Mit einem Schlag erlosch die Gränöbucht, und die Welt wurde still. Die Zeit zog sich zurück, die Grenzen lösten sich auf, und alles war eins. Sie schob sich zurück und berührte nur noch seine äußerste Spitze über dem Abgrund, dann nahm sie ihn in sich auf, so tief es ging, und schließlich legte er sich zwischen den auf dem Steg verstreuten Kleidungsstücken auf den Rücken, und sie sank langsam über ihn und umschloß ihn, und etwas, das größer war als sie beide, vereinte sie. So ritt sie ihn zum rhythmischen Geräusch der Wellen, die durch nichts als die Bewegungen des Stegs auf der spiegelglatten Bucht hervorgerufen wurden. Und die Erde schien sich zu heben, schien sich nähern zu wollen, und der schwarze Himmel sank und sank, bis er von Lichtpunkt auf Lichtpunkt perforiert wurde und das Licht aus einer anderen, dahinter liegenden, besseren Welt Keile in das Schwarze trieb und näher und näher kam und stieg und sank und Geräusche und Bewegungen war und Muster die sich auf der Wasseroberfläche ausbreiteten und der Mond legte einen dünnen Film von Licht über das Dunkel, einen Steg aus Licht der sie hinübertrug in die bessere Welt und sie traten ein und die Welt lächelte ihnen entgegen und alles
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