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Tiefer Schmerz

Tiefer Schmerz

Titel: Tiefer Schmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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war Licht und Schimmern und am Ende ein einziger mächtiger Lichtschein der von etwas anderem und Besserem erzählte das gleichzeitig hier und jetzt war und alle Laute waren nur Rhythmen die durch alle Löcher und alle Öffnungen in der schwarzen Decke des Himmelsgewölbes strömten aus Licht das spritzte und kam und sich entleerte und explodierte in Lauten die Licht waren und Licht das Laute war und alles war vorüber.
    Und es war ganz, ganz still auf dem kleinen Steg.
    Da klingelte ein Handy. Sie sahen einander nicht, fühlten einander nur. Er schüttelte leicht den Kopf, und sie nickte.
    Sie war es, die nickte.
    In dem Nicken lag eine tiefe Einsicht, das fühlte er, als seine Hand in dem Kleiderhaufen tastete und er das Gespräch annahm.
    Er sagte nicht ein Wort. Alles, was sie hörte, war das schwache Klicken, als er auf den Ausknopf drückte.
    »Deine Geschichte ist noch nicht richtig zu Ende, nicht wahr?« sagte sie und streichelte das rote Mal auf seiner Wange.
    »Nein«, sagte er still. »Sie ist nicht richtig zu Ende.«

11
    Fünf Tage war er jetzt unterwegs – es kam ihm vor wie ein ganzes Leben. Und in gewisser Weise war es das. Jetzt spürte er, daß die Irrfahrten sich ihrem Ende näherten. Eine Verwandlung bahnte sich an.
    Das Gefühl einer Gegenwart war jetzt stärker. Sie wurde physisch spürbarer, mehr wie ein alter Freund, auf den man lange gewartet hat. Über ein halbes Jahrhundert. Zwei alte, sehr alte Männer, die sich gegenübertraten, jeder von seiner Seite eines gänzlich vollgekritzelten Bogens Papier. Es war, als wäre er im Begriff anzukommen, nach Hause zu kommen.
    Und dort wartete jemand.
    Unverbrüchlich treu.
    Alles waren jetzt Bilder. Sie strömten durch ihn hindurch. Es war der Todesfluß, und er mußte den Fährmann rufen, um ihn überqueren zu können, um die Erlaubnis zum Sterben zu bekommen. Der Fährmann war es, der auf ihn wartete. Der ihn auf die andere Seite bringen sollte. Und er würde nicht halt machen, bevor er nicht die Tiefe des Trichters erreicht hatte. Doch alles war besser als das Umherirren, unbegraben am Ufer eines Flusses, der nicht existierte. Das Umherirren Ahasvers. Jetzt war der Fluß da. Jetzt begann das ewige Leiden.
    Es war ihm willkommen. Dann und wann war es ihm erlaubt, aus dem Bilderstrom hochzublicken. Um Atem zu schöpfen. Dann rief er sich seinen Reiseweg während dieser fünf Tage in Erinnerung. Die Reise jedes Tages formte einen Buchstaben. Der erste war ›E‹, großes ›E‹. Die Reise des zweiten Tages formte ein ›P‹, das hatte er herausgefunden.
    Die Bilder waren unerbittlich. Es war nicht viel Zeit, um aufzublicken. Die Flutwelle schwappte über ihn hinweg. Doch die Erzählung blieb aus. Die Bilder paßten nicht zusammen. Es ergab sich keine Ordnung. In dem Augenblick, in dem die Ordnung hergestellt war, käme das Ende. Dann müßte er nicht mehr unterwegs sein.
    Arme liegen über ihm, Beine liegen über ihm, dünne, dünne Beine, dünne, dünne Arme. Er bewegt sich in einem Menschenhaufen. Es sind tote Menschen. Einer der toten Menschen ist ein Mann ohne Nase, und er liegt auf dem Fußboden eines Wohnzimmers in Tyresö, und eine Hand mit einem Küchenmesser wird weggezogen, und unter dem Mann ohne Nase läuft das Blut heraus, und an dem Handgelenk bei dem Messer sind Ziffern, die sich in Bewegung setzen und auf dem Weg fort von ihm sind. Und sein Kopf hängt nach unten, und ein Metalldraht wird in seine Schläfe eingeführt, und er fühlt keinen Schmerz, obwohl er einen Schmerz fühlen müßte, der über jede Vorstellungskraft geht. Und nicht er hängt mit dem Kopf nach unten, es ist der Mann, der in unverbrüchlicher Treue am Ufer wartet, das der Todesfluß offenbart. Und das Buch, das er schreibt, das von Schmerz, von Schmerz, Schmerz, Schmerz spricht, wohin geht es? Und woher kommt es? Ist er es, der sein eigenes Buch schreibt? Er öffnet die Tür seines Hauses, und da steht ein Mann ohne Nase, und dann liegt der Mann ohne Nase tot vor ihm. Dann sieht er einen sehr hellen Mann in Uniform. Der sehr helle Mann in Uniform hält einen sehr dünnen Metalldraht in der Hand. Neben dem sehr hellen Mann steht ein dunklerer Mann. Er hat am Hals ein lila Muttermal. Es hat die Form eines Rhombus. Und hinter den beiden Männern, in sonderbarem, künstlichem Gegenlicht, ist ein dritter Mann zu erkennen, und der dritte Mann hat auch einen Metalldraht in der Hand, und er sollte ihn sehen, aber er sieht ihn nicht. Und am Handgelenk verschwindende

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