Tiefer Schmerz
jetzt eine Gesichtshälfte Hultins ins Bild. Sie war so verzerrt, als wäre er gerade dabei, eine ganze Reihe von Nierensteinen in die Windel zu pressen.
»Aber das ist doch …!« sagte Paul Hjelm und warf seinen Kugelschreiber an die Wand.
»Haben Sie einen Verdächtigen gefaßt?« platzten mindestens sechs Pressestimmen heraus. Eine von ihnen, eine bissige Dame von Rapport, fügte noch hinzu: »Sitzen Sie die ganze Zeit hier und lügen uns an?«
Es knarrte und knisterte einen Augenblick gewaltig. Hultin griff den ganzen Strauß von Mikrophonen und zog ihn zu sich herüber. »Eine Person ist vernommen worden«, sagte er mit glasklarer Stimme. »In Kürze werden wir weitere Personen vernehmen. Ich wiederhole: Es gibt keine Festnahmen.«
»Warum erklären dann Sie, Herr Mörner, daß eine Verdachtsperson festgenommen sei?« insistierte die bissige Dame von Rapport.
Mörner blinzelte intensiv. Dann bewegte sich sein Mund, doch es war kein Laut zu hören.
»Können wir die Mikros wieder zurückstellen?« fragte eine verärgerte Technikerstimme.
Da schaltete auch Jorge Chavez den Fernseher ab. Das Trio wechselte Blicke, die zwischen Zorn, Verärgerung und Hohnlachen schwankten.
»Wie lange ist jemand wie Mörner eigentlich haltbar?« fragte Kerstin Holm schließlich. »Gibt es nicht irgendwo eine Grenze?«
»Noch lange, lange nicht«, sagte Jorge. »Aber war sie nicht gut?«
»Das Fernsehen verstärkt Farben«, sagte Paul. »Zwanzig Bahnen?«
»Say no more«, sagte Jorge mit steifen Lippen. »Was macht ihr da gerade?«
»Könntest du vielleicht aufstehen?«
»Wenn ihr sagt, was ihr gerade macht.«
»Das kann ich nicht, wenn du nicht aufstehst.«
Es war mit anderen Worten eine Patt-Situation. Ein unerhörter Machtkampf spielte sich jetzt zwischen den beiden Männchen des Zimmers ab. Kerstin Holm seufzte. Schließlich hob Chavez eine Arschbacke an, woraufhin Hjelm das Blatt herausziehen konnte.
»Unentschieden«, sagte Chavez, sprang vom Tisch herunter, zog den Extrastuhl von der Wand und setzte sich.
»Na gut, meinetwegen«, sagte Hjelm und strich das verknitterte Papier glatt. Er zeigte auf das große Pluszeichen und erklärte: »Ein kleines Koordinatensystem der letzten Tage. Wir haben uns gefragt, ob es irgend etwas Konkretes gibt, das den oberen Teil mit dem unteren verbindet.«
Chavez sah sich das Schema an. Oben ›Skansen‹ und › Skogskyrkogården‹. Unten ›Slagsta‹ und ›Odenplan‹. Zwischen ›Skansen‹ und › Skogskyrkogården‹ stand ›Seil‹.
»Es war also die gleiche Art Seil?« sagte Chavez. »Ich bin der Sache ja nachgegangen. Die Farbkombination rot und lila ist ziemlich ungewöhnlich. Aber ansonsten scheint es sich um ein vollkommen normales Polypropenseil zu handeln, das man in jedem Großmarkt kaufen kann. Ich war mit verschiedenen Herstellern im Inland und im Ausland in Kontakt, und sie wollten Proben ihres rot-lila gestreiften Seils Stärke acht Millimeter schicken. Sie kommen Anfang der Woche.«
»Osteuropa?« fragte Hjelm.
»Ja, auch. Rußland, Bulgarien, Tschechien und noch ein paar.«
»Gut«, sagte Kerstin Holm. »Dann haben wir die Verbindung zwischen den beiden unteren Quadraten, ›Slagsta‹ und ›Odenplan‹. Die Verbindung besteht darin, daß die Ninja-Feministin auf der U-Bahnstation Odenplan von einem der Motelzimmer in Slagsta aus angerufen wurde und daß sie selbst dort angerufen hat. Beide Richtungen also. Es war das Zimmer 225, in dem die Ukrainerinnen Galina Stenina und Lina Kostenko wohnten.«
»Ninja-Feministin?« fragte Hjelm.
»Das ist eine Bezeichnung, die vor ein paar Jahren im Schwange war. Davon versteht ihr Kerle nichts.«
»Nina Björk«, sagte Chavez betont nonchalant. » Unter der rosa Decke. Über die Konstruktion von Weiblichkeit. Sie wendet sich gegen gewisse Spielarten des Feminismus, beispielsweise Sonderstellungsfeministinnen, die an eine Form von angeborener Mütterlichkeit bei Frauen glauben, oder eben Ninja-Feministinnen, die die Waffen des Mannes stehlen und sie gegen ihn wenden.«
Hjelm und Holm starrten ihn überrascht an.
»Du hast offenbar nicht nur zu schwimmen angefangen«, sagte Hjelm.
»Es ist ein eher vielseitiges Training«, sagte Chavez.
»Alle Muskelgruppen werden trainiert.«
»Wenn wir uns jetzt vielleicht konzentrieren können«, sagte Kerstin Holm und wandte die Waffen des Mannes gegen sie. »Ein bißchen rationales Denken, wenn ich bitten darf, die Herren. Dies hier ist interessant. Das letzte
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