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Tiefer Schmerz

Tiefer Schmerz

Titel: Tiefer Schmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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mit dem wirklichen Geschäft weitermachen zu können wie bisher: damit Geld Geld bringen konnte, mußte es großes Geld sein. Und gewöhnliche Menschen hatten kein großes Geld. Einfach und glasklar. Sicher, gewöhnliche Menschen konnten ein paar Zehntausend an der Börse verdienen, doch das hatte keinerlei Bedeutung. Außer für die allgemeine Sichtweise, was den Markt betraf; es war ganz einfach eine Frage der Vermarktung. An der Börse zu spielen war wie Bingo, nichts anderes. Hatte man Glück, bekam man ein bißchen Geld. Also gab es kein Problem mit dem Ganzen. Die Vermarktung war gelungen. Im Prinzip kostenfrei.
    Nein, die Frage war, was für eine Bedeutung es auf Dauer hatte. Wie veränderte diese unerhörte allgemeine Fixierung auf Geld den Menschen an sich?
    Paul glaubte es sogar zu wissen. Eine gewaltige grundlegende Veränderung war im Gang. Er war bei seiner Arbeit so häufig darauf gestoßen. Alle Formen von Demokratie und Humanität bauten auf der Fähigkeit auf, mit dem Menschen, mit dem man sprach, den Platz tauschen zu können. Einfach so. Sich tatsächlich als der andere sehen zu können, mit den gesammelten Erfahrungen des anderen. Erst dann wurde der Mensch gegenüber ein Mensch. In den letzten Jahren hatte er beobachtet, daß diese einfache, grundlegende Fähigkeit zu schwinden begann. Eine Art von Schirm hatte sich zwischen den Menschen aufgebaut, und sie begannen sich als Objekte zu sehen. Investitionsobjekte. Wirft mein Gespräch mit dieser Person irgend etwas ab?
    Es gab keine Welt außerhalb der Ökonomie. Und ohne eine solche Freizone stand es sozusagen jedem frei, seine Mitmenschen nach Gutdünken zu behandeln. Die Zahl der Gewissenlosen wurde größer und größer, glaubte er zu wissen.
    Aber was glaubte er nicht alles zu wissen.
    Kerstin Holm sah von oben auf ihn hinunter. »Hallo«, sagte sie. »Jemand zu Hause?«
    »Der Mensch ist nicht Herr im eigenen Haus«, sagte Paul Hjelm und gab sich einen Ruck.
    Ihr Blick verweilte noch ein paar Sekunden auf ihm. Dann wandte sie sich dem achtzehnjährigen Skinhead zu und sagte: »Nun, Andreas, hast du fertig überlegt?«
    »Ich weiß nicht, wovon ihr redet«, sagte Andreas Rasmusson und sah käsig aus.
    Käsig? Dachte Hjelm. Wieso käsig? Was für ein eigentümliches Wort.
    »Na dann«, sagte Kerstin und klappte ihre Papiere zusammen. »Dann gehen wir zum Staatsanwalt und beantragen Untersuchungshaft für dich. Du kommst vor Gericht, danach Jahre ins Gefängnis, mitten unter böse Einwanderergangs, und bleibst ein Leben lang alter Knastkunde.«
    Und sie verließ den Vernehmungsraum mit Papieren und allem.
    Paul starrte eine Weile auf die geschlossene Tür. Dann ging auch er hinaus. Er trat in den Raum hinter dem durchsichtigen Spiegel und sah Andreas Rasmusson am Vernehmungstisch sitzen und verwirrt blinzeln. Er hatte erwartet, Kerstin hier zu treffen, doch sie glänzte durch Abwesenheit. Eine Weile blieb er stehen und beobachtete den Skinhead. Wie eine vage Kontur in einem Feuermeer kam die Gestalt des an den Beinen hängenden Mannes ihm entgegen. Die grauen Haarsträhnen reichten hinunter bis zu dem zerstörten Grabstein.
    Ihm ging es nicht richtig gut.
    Kerstin kam herein und stellte sich neben ihn. Sie roch – schlecht.
    Überrascht wandte er sich zu ihr um. »Sag mal, hast du gekotzt?«
    »Warum sonst sollte ich wie von der Tarantel gestochen den ganzen Morgen rein und raus laufen?« fragte sie mit dem Blick zum Spiegel. »Ich hatte mich eigentlich auf einen freien Tag eingerichtet. Im übrigen riechst du auch nicht gerade taufrisch«, fügte sie hinzu und sah ihn an.
    »Nein«, sagte er. »Vermutlich nicht.«
    »Hat er reagiert?« fragte sie.
    »Er sieht nur verstört aus.«
    »Neuer Versuch?«
    »Ich finde, ja.«
    Sie gingen zurück. Andreas Rasmusson betrachtete sie, ohne eine nennenswerte Reaktion zu zeigen.
    »Du bist sonst nicht gerade auf den Mund gefallen«, sagte Kerstin Holm. »Meinen Unterlagen zufolge bist du vierzehnmal verhört worden, und jedesmal hattest du eine schlagfertige Antwort auf Lager. Warum bist du heute so wortkarg? Weil Sonntag ist? Der christliche Sabbat?«
    Er sah sie an, ohne sie zu sehen.
    Paul Hjelm sagte: »Den Kollegen am Hauptbahnhof zufolge warst du beinah wahnsinnig vor Angst, als sie dich aufgegriffen haben. Was war denn da gewesen?«
    »Ich will einen Anwalt«, sagte Andreas Rasmusson.
     
    Sonntag, der siebte Mai, war ein denkwürdiger Tag. Auf den Fluren der A-Gruppe im Polizeipräsidium auf

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