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Tiefer Schmerz

Tiefer Schmerz

Titel: Tiefer Schmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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mit kühlen Augen in die Höhe. Ein klassischer Gangster. Er lächelte schief, trug einen leichten hellrosa Sommeranzug und eine sehr dicke goldene Kette um den Hals.
    »Ich hoffe, er hat ihnen geschmeckt«, sagte Sara Svenhagen. »Dann war er ja immerhin noch nützlich.«
    »Wenn du nach Slagsta fährst, Sara«, sagte Hultin, »dann nimm das Foto mit und zeige es allen. Vielleicht hat ihn dort draußen trotz allem jemand gesehen.«
    Sara nickte stumm.
    »Wir bräuchten näheren Kontakt mit der italienischen Polizei«, sagte Hjelm. »Es fehlt doch noch eine ganze Menge Information.«
    Jan-Olov Hultin stand auf und beugte sich übers Katheder vor. »Das ist ja der Clou vom Ganzen«, krähte er. »Wir haben ja einen Mann vor Ort.«

16
    Anja sah es, lange bevor er selbst es sah. Fünf Kinder sahen es, lange bevor er selbst es sah. Alle Welt sah es, lange bevor er selbst es sah.
    Daß er möglicherweise eine ganz, ganz kleine Dosis zuviel ›Schönheit‹ und ›Frieden‹ bekommen hatte.
    Arto Söderstedt trabte in dem kleinen Steinhaus im Chianti umher und redete sich ein, daß der Genuß noch ebenso groß war wie am ersten Tag. Er saß auf der Veranda, während der Frühlingsabend zur Frühlingsnacht wurde, trank sein kleines Glas Vin Santo, tunkte seinen kleinen Zimtzwieback ein und dachte: Oh, wie ich genieße. Und sicher genoß er immer noch. Sicher reichten die erneuernden Wellen der Renaissance bis in die robuste Schlafkammer. Sicher blühte das eheliche Leben wie nie zuvor; er war sogar unsicher, ob Anja nicht heimlich ein sechstes Kind plante – wie verhielt es sich eigentlich mit den präventiven Maßnahmen? Und sicher war es eine unsägliche Wohltat, am Morgen schlafen zu können, solange man wollte, und sich in den Büchern verlieren zu können, wie man wollte, in der Musik, die man wollte, den Kaffee zu trinken, den man wollte, sich dem Kleinkram zu widmen, auf den man Lust hatte. Aber irgendwo war es dennoch nicht richtig genug. Irgendwo reichten die Früchte von Onkel Perttis Geld nicht aus.
    Anja Söderstedt genoß in um so volleren Zügen, aber sie machte nicht soviel Wesens davon. Arto hatte die Neigung des maskulinen Wesens, sein Wohlbefinden zur Schau zu stellen – und das Zur-Schau-Stellen hat bekanntlich eine Tendenz, das zur Schau Gestellte zu verschlingen. Am Ende ist das Zur-Schau-Stellen alles. Er lebte in einer Schale von Lebensgenuß; wenn jemand etwas unvorsichtig an der Schale kratzte, würde sie Risse bekommen und zerfallen, und Arto Söderstedt würde tief in den finstersten Abgrund des Infernos blicken.
    Tja, vielleicht nicht richtig. Aber manchmal, wenn er da auf der Veranda saß und auf Anjas immer prachtvolleres Kräuterbeet blickte, kam es ihm in den Sinn, daß er ein Süchtiger war.
    Workaholic in einer Entzugsklinik.
    Anja hatte nämlich eine Leidenschaft in ihrem Leben – neben Arto, den sie sicher genauso intensiv liebte, wie er sie. Diese zweite Leidenschaft waren Kräuter. In ihrer Zeit in dem Haus in Västerås war sie dieser Leidenschaft mit glühendem Eifer nachgegangen; in den Töpfen auf den Fensterbänken in der Bondegata wuchsen sie eher zögernd. Aber hier, hier in der Toskana, im Herzen des Chianti, in unmittelbarer Nähe der mauerbewehrten mittelalterlichen Stadt Montefioralle, die die Hügel vor der Weinstadt Greve krönte, hier blühte ihre Leidenschaft auf wie nie zuvor. Sie wollte nie wieder von hier fort. Der Garten war in die lieblichsten Düfte gehüllt. Ihre Daumen waren grüner denn je, und lokalen Experten zufolge war es im ganzen Chianti noch nie jemandem gelungen, sechzehn verschiedene Sorten Basilikum zu züchten. Tatsache war, daß niemand je von so vielen verschiedenen Sorten gehört hatte. Aber beeindruckt waren sie, die Nachbarn.
    Die Nachbarn, ja.
    Eine Person fühlte sich noch wohler als Anja. Das war die älteste Tochter Mikaela. Sie war sechzehn und das Schönste, was es gab auf der ganzen Welt. Eines Morgens hatte sie sich in der geräumigen toskanischen Küche an den Tisch gesetzt und war nicht mehr Jungfrau. Er würde nie ganz genau sagen können, woran er es sah, aber es gab keinen Zweifel. Sie leuchtete. Die ganze Gestalt strahlte. Und Arto Söderstedt dachte, daß er die Rolle des entehrten Vaters übernehmen und mit der Schrotflinte in die Büsche hinausstürmen und jeden italienischen Jungzipfel in der ganzen Nachbarschaft abschießen müßte.
    Aber es war einfach nicht drin. Er lächelte nur, und sein Lächeln war anscheinend ebenso

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