Tiefer Schmerz
der Mörder sie abgeschnitten?«
»Nein«, sagte Yitzak Lemstein. »Sie war schon lange weg. Es war nur eine große Narbe da.«
»Ich verstehe«, sagte Chavez, ohne sonderlich viel zu verstehen. »Haben Sie noch etwas anderes hinzuzufügen?«
»Nein«, sagte Lemstein. »Aber das haben Sie.«
Chavez sah ihn begriffsstutzig an. Dann hob er den Zeigefinger gen Himmel, stieß ein »Ah!« aus und rief beim Staatlichen Kriminaltechnischen Laboratorium an. »Brunte«, prustete er. »Schwiegervaterherz. Alter Kumpel. Wie sieht es draußen auf dem Südfriedhof aus? Seid ihr ganz fertig damit?«
Er lauschte ein paar Sekunden. Dann beendete er das Gespräch mit einem Druck auf die Austaste und wandte sich mit einem Nicken Yitzak Lemstein zu. »Es geht in Ordnung, Sie können den Stein jetzt holen«, sagte er.
»Shtayf hat ausgelitten.«
Yitzak Lemstein starrte ihn an, drehte sich um, griff seine Schubkarre und fuhr davon. Chavez blickte ihm noch eine Weile nach, wie er obeinig zu dem leidenden Grabstein fuhr.
Er selbst ging zu seinem Wagen.
Auf dem Weg dorthin rief er seine Frau an. »Hallo Sara«, sagte er. »Wo bist du?«
»In meinem Zimmer«, sagte Sara Svenhagen. »Ich bin gerade aus Slagsta zurückgekommen.«
»Hat jemand unseren Griechen erkannt?«
»Er hieß Nikos Voultsos. Möchtest du, daß ich dich ›mein Chilene‹ nenne?«
»In intimen Stunden gern, Frau Ich-will-nicht-Chavezheißen-aber-gern-Svenhagen-wie-Papa-Brunte. Ich habe übrigens gerade mit deinem Vater telefoniert. Er war ganz genauso liebenswürdig wie gewöhnlich.«
»Nein«, sagte Sara ruhig. »Niemand kannte unseren Griechen. Doch das spielt vielleicht keine so große Rolle. Arto hat gerade aus Italien von sich hören lassen. Allem Anschein nach war Nikos Voultsos im Auftrag eines großen Verbrechersyndikats aus Mailand hier in Schweden. Es sieht so aus, als hätte er die acht Frauen in Slagsta übernehmen und einer Art Superpuff zuführen sollen. Außerdem ist die Nachricht vom Handy deiner Ninja-Feministin wahrscheinlich inzwischen übersetzt. Sie lautet folgendermaßen: ›Alle gut durch. Dreihundertzweiundsiebzig bei Lublin.‹ Ich checke gerade denkbare Fähren.«
»Lublin?« sagte Jorge. »Polen?«
»Ja. Es ist wohl ziemlich wahrscheinlich, daß es sich um unsere acht Damen handelt, die ›gut durch‹ sind. Vermutlich handelt es sich um ein konkurrierendes Syndikat in der Ukraine. Die angerufenen Frauen in Slagsta waren ja Ukrainerinnen, und die Nachricht auf dem Handy war ukrainisch. Also scheint die Ninja-Feministin Ukrainerin zu sein und einem Sex-Syndikat anzugehören.«
»Ich weiß nicht, ob sich das gut anhört oder schlecht«, sagte Jorge, gerade als Sara eine sonderbar metallische Stimme bekam. »Rein polizeilich gesehen ist es ja gut. Obwohl es auch ein bißchen besorgniserregend ist. Bist du noch da? Sara?«
Saras Stimme hatte jetzt einen industriellen Klang. Robocop, dachte Jorge.
Da kehrte die normale Stimme zurück. »… und was machst du?«
»Ich habe Angst, daß du dich in etwas Hartes und Kaltes verwandelst«, sagte Jorge Chavez.
»Sag mal, was ist denn mit dir los?« sagte eine schreckenerregende Metallstimme.
»Deine Stimme ist seltsam. Jetzt verschwindet sie wieder. Scheiße. Ich spreche auf jeden Fall weiter. Ich wollte dich bitten, falls du ein paar Minuten Zeit hast, die unbekannten Leichen vom September 1981 anzusehen. Jüdischer Mann in den Vierzigern. Mit Konzentrationslagertätowierung, aber ohne Nase. Ich wiederhole: ohne Nase.«
Jetzt war sie weg. Er verfluchte die Erfindung des Mobiltelefons und drückte auf die Austaste.
Als er ins Auto stieg, saß noch immer ein kleines Käppchen auf seinem Kopf.
Sara blickte auf das verstummte Handy.
Etwas Hartes und Kaltes?
Sie saß in dem Zimmer, das sie mit Kerstin Holm teilte. Kerstin war ausgeflogen. Wohin, wußte sie nicht.
Sara Svenhagen warf einen Blick auf ihren Monitor. Da sah sie einen schematisierten Zeitplan. Sie laborierte mit einem Zeitraum zwischen vier Uhr am Morgen des 4. Mai, des Donnerstags, als die Frauen Slagsta verlassen hatten, und drei Uhr am Nachmittag des darauffolgenden Tages, also am Freitag, dem 5. Mai, als das Telefonat aus Lublin den abgetrennten Arm auf dem U-Bahnhof Odenplan erreichte. Man wäre demnach innerhalb von fünfunddreißig Stunden von Stockholm nach Lublin gereist. Wenn man an der Annahme festhielt, daß sie in einer Art von Bus gefahren waren und nicht mit dem Müllauto, dann mußten sie eine Fähre
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