Tiefer Schmerz
sich dort hinzusetzen und Kokain zu schnupfen. Er wird mit großer Präzision zum Zaun von Skansen getrieben, genau zum Wolfsgehege. Wahrscheinlich ist schon vorher ein Loch in den Zaun daneben geschnitten worden, neben dem Wolfsgehege. Dadurch schleichen sie hinein, während er sich den Zaun hinaufkämpft und über den Zaun zu den Wölfen hineinspringt. Sie stehen oberhalb des Wolfsgeheges und warten auf ihn. Sie sehen, wie er verrückt wird und die Pistole fortwirft und sich die Goldkette vom Hals reißt. Sie folgen ihm ein paar Schritte. Dann fangen sie ihn, binden ihm mit einem rot-lila Seil die Beine zusammen, führen ihm den Metalldraht in die Schläfe ein und lassen ihn zu den Vielfraßen hinunter. Die schnappen sich einen kleinen Bissen, zunächst ein wenig vorsichtig, doch darin befindet sich eine ausreichend starke Dosis Kokain, um unsere bestialischen Mardertierchen zu einem Massaker zu pushen. Wahrscheinlich ist er da schon tot. Möglicherweise ist er bereits auf die gleiche, ein wenig ungreifbare Weise tot wie Leonard Sheinkman. Aus purem Schmerz, kann man annehmen. Als alles klar ist, ziehen sie das Seil hoch. Es ist nichts übrig. Die Vielfraße sind so hoch gesprungen, daß es ihnen gelungen ist, den Kreuzknoten abzubeißen. Das spielt auch weiter keine Rolle. Sie nehmen das Seil und hauen ab. Dann rufen sie, ziemlich unmittelbar, im Norrboda-Motel in Slagsta an. Dort nimmt eine der Ukrainerinnen in Zimmer 225 das Gespräch entgegen – entweder Galina Stenina oder Lina Kostenko. Sie hören, daß ihr Quälgeist Nikos Voultsos aus dem Spiel ist und daß der Transport wie geplant um vier Uhr am Morgen, wenn niemand zusieht, abgeht. Glückselig schwatzen sie die Nacht durch. Sie sind frei. Sie sind endlich frei. Kein Zuhälter mehr. Kein Scheiß-Stoff mehr. Nie wieder. Neues Leben. Zeit, das Blatt im Buch des Lebens umzublättern.«
Ja, dachte Paul Hjelm.
Natürlich, Kerstin, so ist es.
Er sagte: »Aber die Bande bleibt also da. Um einen alten Mann zu ermorden.«
»Ja, da kommt dieser Schlag. Du weißt genau, was für einen Schlag ich meine; alles sitzt haargenau, wie es soll, und da kommt er, da kommt die Enttäuschung und sickert ein und trübt das ganze Bild.«
»Ich kenne das nur zu gut«, sagte Paul.
»Weißt du, was ich gerade tue?« fragte Kerstin.
»Du denkst über die weiteren Abenteuer und Schicksale der Mädchen nach. Lublin und was danach kommt.«
»Und außerdem? Praktisch?«
»Ich habe nicht die blasseste Ahnung. Wäschst Schlüpfer? Klaubst Kletten aus den Haaren? Schneidest die Zehennägel mit der Heckenschere?«
»Schaue auf eine wachsende Liste.«
Kerstin Holm saß in ihrem Zimmer und schaute auf eine wachsende Liste. Viggo Norlander saß auf einem Stuhl direkt neben ihr und schaute sie an, während sie die wachsende Liste anschaute. Sie war eine herrliche Frau. Daß er das früher nicht gesehen hatte. Er, der als Experte gelten durfte, nach ein paar Jahren intensiven Umgangs mit dem anderen Geschlecht in allen denkbaren und undenkbaren Single-Bars in ganz Stockholm – bis er sich total unerwartet im Alter von fünfzig Jahren in einer Partnerschaft und als Vater eines Kleinkinds wiederfand. All dies geschah indessen, nachdem er von der russisch-estnischen Mafia auf einem Fußboden festgenagelt, sozusagen gekreuzigt worden war.
Es war ein bißchen kompliziert.
Wahrscheinlich kehrte der Blick für das andere Geschlecht zurück, weil Klein-Charlotte laufen lernte. Er verstand nicht ganz, wie es zusammenhing, aber es war eine Tatsache. Zum Glück hielt Astrid ihn in Trab, und so blieb sein Blick rein theoretisch.
Die wachsende Liste auf dem Monitor war ganz einfach Kerstin Holms Mailbox. Ihre Inbox wurde voller und voller, und am Ende hatte sie acht Mails von europäischen Polizeibehörden empfangen.
»Acht«, sagte sie zu dem verdutzten Handy.
»Erkläre dich, aber sofort«, sagte das verdutzte Handy.
»Europols und Interpols große Anfrage beginnt Früchte zu tragen. Allgemeiner Aufruf an alle größeren Polizeibehörden in Europa. Ich glaube, es handelt sich um die dreihundert größten Städte auf dem Kontinent. Ich weiß ja noch nicht, ob es positive Rückmeldungen sind, aber acht von diesen dreihundert europäischen Städten haben etwas über unseren modus operandi zu sagen.«
Die acht Mails leuchteten mit fetten Buchstaben. Als sie jetzt daraufklickte, normalisierten sie sich nach einigen Sekunden.
Mail eins: Kommentar aus Dublin. Kommissar Radcliffe. ›Ich
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