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Tiefer Schmerz

Tiefer Schmerz

Titel: Tiefer Schmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Gleichgewicht wieder herzustellen. Und sie gaben nie auf. Sie waren wie Fliegen.
    Die Erinnyen waren weiblich, Rachegöttinnen.
    Nikos Voultsos’ letzte Handlung im Leben war, hinzuschreiben, wer ihn ermordete. Er schrieb es in Altgriechisch, der Sprache der Mythologie. Der Mann, der in Piräus drei Prostituierte ermordet hatte und im Begriff war, einen Puff in Stockholm zu übernehmen, war überzeugt davon, daß er von weiblichen Rachegöttinnen gejagt wurde.
    War es das Gewissen, das ihn einholte?
    Paul Hjelm schauderte. Mindestens fünf magere, dunkle Gestalten wie eine gleitende Gegenwart von etwas zwischen den Grabsteinen auf dem Südfriedhof, wie Gestalten aus der Mythologie …
    Nein, dachte er. Nein, dies ist kein Verbrechersyndikat wie irgendein anderes. Dies ist keine osteuropäische Mafiabande, die Frauen wie Fleischstücke verkauft. Nix da.
    Er rief Kerstin an. Ganz spontan.
    »Kerstin Holm«, sagte sie.
    »Bist du im Haus? Oder vielleicht aus dem Häuschen? Oder auf dem Häuschen?«
    »Nein, ich bin weder auf noch aus dem Häuschen. Warum interessiert sich alle Welt für meine Toilettenbesuche? Ich bin in meinem Zimmer. Viggo ist hier.«
    »Na, sieh mal an«, sagte Paul Hjelm. »›Epivu‹ sind die Erinnyen, die antiken Rachegöttinen. ›Ερινύ‹. Es ist Altgriechisch.«
    »Du meine Güte«, sagte Kerstin Holm. »Wie bist du denn darauf gekommen?«
    »Das ist eine lange Geschichte. Aber ein Mafiasyndikat ist es jedenfalls nicht.«
    »Das habe ich auch nie geglaubt. Ihr habt es selbst gesagt. Ninja-Feminismus.«
    »Ich glaube, du warst diejenige, die es gesagt hat. Wir haben es nur verdeutlicht.«
    »Viggo hat den Phantomzuhälter gefunden. Den Mann, der mit dem Heimleiter Jörgen Nilsson im Norrboda-Motel im November letzten Jahres einen Deal gemacht hat. Er hieß Finn Johansen und war Norweger.«
    »›Hieß‹? ›War‹?«
    »Er hat am vierundzwanzigsten April Selbstmord begangen. Sich durch den Kopf geschossen. Mit einer Luger mit Schalldämpfer, die nicht seine war. Dagegen ist die Seriennummer der Luger von Nikos Voultsos sehr ähnlich. Es sind Zwillinge. Aus demselben Waffenlager.«
    »Um welche Zeit?«
    »Was, um welche Zeit?«
    »Um welche Tageszeit am vierundzwanzigsten April?«
    Eine Weile war es still. Dann ertönte Viggo Norlanders nicht ganz so bezaubernde Stimme: »Was treibst du eigentlich, Freddie Freeloader?«
    »Wann hat er sich erschossen?«
    »Gar nicht, würde ich tippen.«
    »Ich auch.«
    »Gegen eins, halb zwei am Tag, anscheinend. Um Viertel vor zwei kam seine Lebensgefährtin, eine Prostituierte, von ihrer täglichen Schicht nach Hause und fand ihn, wie man so schön sagt, in seinem eigenen Blut schwimmend.«
    »Nikos Voultsos kam am dreiundzwanzigsten April nach Stockholm. Um halb fünf am vierundzwanzigsten rief er sämtliche vier Zimmer im Motel an, 224, 225, 226 und 227. Sie haben da gerade ein paar Stunden zuvor ihren Zuhälter Finn Johansen verloren, und zwar mittels einer Waffe, die nahezu identisch ist mit der von Voultsos.«
    Es rauschte ein bißchen im Telefon. »Ich höre dich«, sagte Kerstin Holm. »Es ist Sonntag. Sonntag, der vierundzwanzigste. Da breitet sich die Unruhe in den vier Motelzimmern aus. Die Mädchen wissen, daß sie von einer bedeutend größeren und vermutlich grausameren Gang als Finn Johansens übernommen worden sind. Den Vielfraßen. Ghiottone. Ein paar Tage später ruft deine Ninja-Feministin an.«
    »Sie ist nicht meine. Und sie ist auch keine Ninja-Feministin. Sie ist eine Rachegöttin: Sie ist Erinnye.«
    »Whatever. Irgendwie bietet sie den Mädchen eine Alternative zu der entstandenen Situation an; worum es sich im einzelnen handelt, wissen wir nicht. Es vergeht eine Woche, Nikos Voultsos befestigt seine Position als ihr neuer Zuhälter; möglicherweise führt er schon mal eine Machtdemonstration durch, am ehesten in Kombination mit einer Art von Brutalsex unter Drogeneinfluß. Vielleicht reißt er sich weitere Ställe auf ähnliche Weise unter den Nagel; das müssen wir überprüfen. Vielleicht ist dieser Bus bei Lublin tatsächlich ein Bus, und vielleicht ist er voll.«
    »Voll, womit? Geretteten Huren?«
    »Ich bin mit dem Wort nicht einverstanden«, sagte Kerstin, »aber okay. Vielleicht. Während er dabei ist, seinen Auftrag von der Ghiottone-Organisation in Mailand auszuführen, wird sein Ableben geplant. Und durchgeführt. Sie lauern ihm irgendwo auf Djurgården auf. Wahrscheinlich wissen sie, daß er die Angewohnheit hat,

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