Tiefer Schmerz
frage mich, ob ich nicht von etwas Ähnlichem aus der früheren DDR gehört habe. Kontakten Sie Benziger in Weimar. Keine Ahnung, welchen Titel er hat, aber er ist nett. Das scheinen Sie auch zu sein, Ms Holm.‹
Mail zwei: Schimpfkanonade aus Paris. Polizeidirektor Mérimée. › Mißbrauch von Europol-Mitteln. Sollen ausschließlich eingesetzt werden für: ungesetzlichen Drogenhandel, Vergehen, die illegale Einwanderung betreffen, Handel mit gestohlenen Fahrzeugen, Menschenhandel inkl. Kinderpornographie, Falschmünzerei und Fälschung von Zahlmitteln, ungesetzlichen Handel mit nuklearen und radioaktiven Stoffen, Terrorismus, illegale Geldwäsche im Zusammenhang mit Straftaten der genannten Art. Außerdem sollen mindestens zwei EU-Staaten involviert sein. Sie, Madame Holm, scheinen die Ressourcen von Europol für nationale Kleinkriminalität nutzen zu wollen.‹
Mail drei: Bestätigung aus Budapest. Kriminaldirektor Mészöly. › Sehr interessant. Im Oktober 1999 hatten wir einen gleichgelagerten Fall. Neunundzwanzigjähriger Mann, tätig in der Prostitutionsindustrie, mit Kopf nach unten und Metalldraht in der Schläfe aufgehängt. Sind sehr interessiert an Ihrer Ermittlung, und Sie werden selbstverständlich über unsere informiert.‹
Mail vier: Dito aus Maribor, Slowenien. Polizeichef Sremac. ›Gleicher Fall hier im März. Schwerkrimineller aufgehängt und Schädel durchbohrt. Erwarten weitere Informationen.‹
Mail fünf, sechs und sieben: Bestätigungen aus Wiesbaden, Deutschland, Antwerpen, Belgien, und Venedig, Italien. Kommissar Roelants in Antwerpen fügt hinzu: ›Wundern Sie sich nicht, Ms Holm, wenn weitere Bestätigungen auftauchen. Wir, die bereits früher mit diesem Verbrechen zu tun hatten, halten intern und höchst inoffiziell seit Monaten Kontakt zueinander. Meiner Ansicht nach hat jedoch bisher keiner eindeutige Verbindungen zwischen den Fällen herstellen können.‹
Mail acht: Anfrage aus Stockholm. Abteilungsleiter Waldemar Mörner. ›Wer in Dreiteufelsnamen hat diese Rundfrage genehmigt? In wessen Budget landet sie? WM.‹
Kerstin Holm rief Paul Hjelm an. »Sie sind seit einem knappen Jahr aktiv«, sagte sie.
»In Europa?« fragte Paul Hjelm.
»Bisher Budapest, Maribor, Wiesbaden, Antwerpen und Venedig. Zusammen mit unseren Opfern sind also bisher insgesamt sieben Menschen aufgehängt, mit durchstochener Hirnrinde. Dazu Hamid al-Jabiri auf dem Bahnsteig am Odenplan. Acht Tote. Vielfraße scheinen aber bisher nicht vorgekommen zu sein.«
»Wer sind die Opfer?«
»Es scheinen tatsächlich durch die Reihe Schwerkriminelle zu sein. Alle, außer Leonard Sheinkman.«
»Hat einer deiner Kontakte irgendeine Verbindung zu Ghiottone angedeutet?«
»Nein. Aber es ist bisher alles noch unvollkommen, wir tauschen die Ermittlungen aus.«
»Übers Netz? Ist das wirklich sicher?«
»Was ist heutzutage sicher?« sagte Kerstin Holm.
Dann war sie nicht mehr zu hören. Paul Hjelm verfluchte die Erfindung des Mobiltelefons und drückte auf die Austaste.
19
Zwölfter Februar 1945
Habe endlich Papier und Bleistift bekommen. Will nicht Zeit und Kraft vergeuden, um zu erklären, woher; von beidem habe ich viel zu wenig. Meine Zeit tickt aus, meine Kräfte zerrinnen, ich spüre es, weiß es. Bald bin ich an der Reihe. Ich habe die Liste gesehen. Habe meinen Namen auf der Liste gesehen. Leonard Sheinkman, so stand es da. Das bin ich. Ich glaube, es ist gut, wenn ich es mir von Anfang an klarmache. Damit keine Mißverständnisse aufkommen.
Dies können die allerletzten Worte sein, die ich in meinem Leben schreibe, und ich will sie nicht an Unwichtigkeiten verschwenden. Das habe ich mehr als genug getan.
Ich habe mein Leben an Unwichtigkeiten verschwendet.
Ich wünschte wirklich, daß Liebe sich beschreiben ließe. Ich bin Dichter, ich beschreibe, das ist meine Arbeit, und doch kann ich es nicht. Und wer kann es dann? Vielleicht ist es nur im nachhinein möglich. Wenn alles schon zu spät ist.
Dann sollte es jetzt möglich sein.
Mein Sohn …
Nein. Nicht heute. Heute geht es nicht.
Heute will ich mich mit der Freude darüber zufrieden geben, wieder einmal einen Bleistift in der Hand zu halten, wieder einmal mit der Hand über das glatte Papier zu fahren.
Einst war es das Schreiben, das mich leben ließ. Werde ich nur der Erinnerung daran begegnen, wenn der Bleistift das Papier berührt? Oder werde ich wieder leben? Ein letztes Aufblühen?
Dreizehnter Februar 1945
Es ist so
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