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Tiefer Schmerz

Tiefer Schmerz

Titel: Tiefer Schmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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für Frauen? Es handelt sich ja doch um ziemlich rohe Gewalt. Es muß Haß im Spiel sein, und Rache. Ich glaube, es ist eine Gang osteuropäischer ehemaliger Prostituierter, die zurückschlägt.«
    »Unter Zufügung größtmöglicher Schmerzen«, sagte Paul Hjelm.
    »Ja. Zuerst versetzt man das Opfer mit diesem gespensterhaften Schleichen in Todesangst. Dann bedient man sich einer mehr oder weniger wissenschaftlichen Methode, um so viel Schmerz zuzufügen, wie überhaupt möglich. Das ist wirklich ein wenig ausgefallen.«
    »Richtig normal ist es nicht«, sagte Chavez.
    »Nein«, sagte Kerstin Holm. »Richtig normal ist es nicht.«

24
    Palast, dachte Söderstedt. Palast ist das richtige Wort.
    Man konnte es nicht anders nennen.
    Es lag in den Vierteln in unmittelbarer Nähe des Doms, in den innersten der konzentrischen Kreise Mailands, wie im Fadenkreuz eines Zielfernrohrs. Arto Söderstedt blickte zur Fassade aus dem sechzehnten Jahrhundert mit der gleichen Faszination auf, die er stets vor Werken der Renaissance empfand. Dieses Gefühl, daß alles möglich ist, daß wir gerade aus dem Dunkel der Zeiten herausgetreten sind, daß die Winde in unsere Richtung wehen, daß wir nur immer besser und besser werden und daß wir von niemandem etwas zu befürchten haben.
    Ungefähr wie die EDV-Revolution. Allerdings ist es jetzt eine Parallelwelt, in der alles möglich ist. Diese Wirklichkeit ist verbraucht, aber die Cyber-Wirklichkeit ist gänzlich unerforscht. Eine enorme Karte, die nur ein einziger, flächendeckender weißer Fleck ist. Columbus, Ves pucci, Cortès, Vasco da Gama, Fernão de Magalhães, alle waren sie wiederauferstanden, um im Namen reicher Machthaber eine Welt zu erobern. Es war zu hoffen, daß die Völkermorde im Cyberspace eine Spur weniger blutig sein würden.
    Aber die Kunst würde kaum ähnliche Höhen erreichen.
    Der Palast stand sogar im Führer, in den Jahren 1538 bis 1564 von einem Architekten namens Chincaglieria für das hochwohlgeborene Geschlecht Perduto erbaut. Daß er Palazzo Riguardo hieß, empfand Söderstedt als Ironie. ›Riguardo‹ bedeutet nämlich Rücksicht.
    Der Garten, der durch das Gittertor in der Mauer zu erkennen war, wirkte großartig, aber ein wenig zusammengedrückt, wie private Innenstadtgärten es logischerweise sein müssen. Söderstedt klappte den Führer zu, steckte ihn in seine Aktentasche und drückte auf einen Knopf im Mauerwerk. Nichts war zu hören, nichts zu sehen. Nur eine einsame Katze schoß mit zornigem Miauen durchs Grün des Gartens.
    Er wartete. Die Sonne hatte den ganzen Tag hoch am Himmel gestanden. Die erste Maiwoche war vergangen, der Sommer war über den Apennin heraufgeklettert und hatte schließlich Mailand erreicht. Söderstedt wartete weiter und betrachtete die Sonne, wie sie, etwas mehr ins Rot spielend, zwischen zwei grob verputzten Steinfassaden durchschien, die gegen die Ränder der Sonnenscheibe vollkommen schwarz aussahen. Es war Abend in der großen Stadt. Der Verkehr war noch intensiv, doch es kam ihm so vor, als wäre die Luft leichter zu atmen. Es war ein Glück, daß die Autofahrt von den Hügeln des Chianti bis in den Smog Mailands so lang war; das gab den Lungen Zeit, sich an die Luftverschmutzung zu gewöhnen.
    Er wartete noch immer. Er hatte nicht vor, klein beizugeben.
    Schließlich sagte eine Stimme barsch: »Nome?«
    »Arto Söderstedt, Europol.«
    Es war ein Debüt. Fühlte sich ganz okay an, es zu sagen.
    »Carta d’identità?«
    Er hielt seinen schwedischen Polizeiausweis zusammen mit der provisorischen Europolmarke hoch. Er wußte nicht, in welche Richtung er sie halten sollte – er sah nirgendwo eine Kamera.
    Schließlich sagte die barsche Stimme: »Avanti.«
    Das schwere Gittertor glitt lautlos auf. Er betrat den Garten und ging die Treppe hinauf. Dort empfingen ihn drei stabile Männer in ausgebeulten Jacketts. Nichts Neues unter der Sonne.
    Er wurde zweimal nacheinander von zweien der Männer abgetastet. Der dritte leerte den Inhalt seiner Aktentasche aus und untersuchte genauestens die Pikachufigur, die an seinem Autoschlüssel baumelte. Der Mann drückte darauf. Sie piepte.
    »Pokémon«, sagte Arto Söderstedt, während ein anderer Mann seine Geschlechtsteile drückte. Sie piepten nicht.
    Die Männer sagten nichts. Söderstedt war bombensicher, in einem Low-Budget-Film gelandet zu sein. Die Tür, die aufglitt, war die Öffnung zu einer Filmkulisse, und er trat unvermittelt aus der Wirklichkeit in die Fiktion. Jetzt

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