Tiefer Schmerz
erfreulich zu hören, daß Sie so genau verfolgt haben, wie die schwedischen Medien den Tod dieses flüchtigen Bekannten kommentieren. Sie lesen also Schwedisch? Dann können wir vielleicht Schwedisch sprechen?«
»Es war Marconi, der mich informiert hat. Sie kennen wohl den guten Kommissar mit dem überdimensionierten Schurrbart? Er ist ein sehr guter Freund. Ein richtig guter Freund.«
»Aber Sie geben doch zu, daß es gräßlich ist? Man fragt sich, was das für Leute sind, die so mir nichts dir nichts mit dem grausamen Nikos Voultsos kurzen Prozeß machen. Nema problema. Schnitt-schnitt, und er war in sehr kleine Bestandteile aufgelöst. Und von den Prostituierten blieb nicht einmal das übrig. Sie verschwanden einfach. Blopp, weg.«
»Sie werden vulgär, Signor Sadestatt. Und die Zeit vergeht.«
»Was haben Sie während des Krieges gemacht?«
»Das haben Sie schon in meiner Akte gelesen. Stellen Sie sich nicht dumm.«
»Ich hätte es nur gern von Ihnen selbst gehört.«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich bin vor den Faschisten aus dem Lande geflohen. In die Schweiz. Warum interessieren Sie sich für meine tristen Kriegserlebnisse?«
»Das kann ich Ihnen leider nicht beantworten«, sagte Söderstedt gleichgültig und fuhr fort: »Wie kommt es, daß es keine einzige Spur von Ihnen in der Schweiz gibt?«
»Warum käuen Sie all das wieder, wovon die Polizei seit Jahren schwafelt? Ich habe unter wechselnden Identitäten gelebt, weil die Faschisten es auf mich abgesehen hatten.«
»Die Faschisten hatten es auf Sie abgesehen – und jetzt sind Sie aktiv in der Lega Nord? Einer separatistischen Partei, die eng mit den Faschisten zusammenarbeitet?«
»Das ist ein notwendiges Übel. Politische Taktik. Wir sind keine Faschisten. Wir wollen nur eine Grenze festschreiben, die in der Praxis bereits existiert.«
»Ein Norditalien und ein Süditalien?«
»Alles Geld, das hier oben erwirtschaftet wird, fließt dort unten hin. Wir wollen es hier oben behalten und ein Land mit einem normal-europäischen Standard werden.«
Arto Söderstedt hielt sehr plötzlich ein Foto hoch. Er studierte sorgfältig di Spinellis Gesichtsausdruck. »Kennen Sie diesen Mann?«
»Nein.«
»Und diesen?« sagte Söderstedt und hielt ein weiteres Foto hoch.
»Nein.«
»Das erste zeigt Leonard Sheinkman als Fünfundachtzigjährigen, das zweite Leonard Sheinkman als Fünfunddreißigjährigen.«
»Leonard Shinkman? Ich kenne keinen Leonard Shinkman.«
»Den Schinkenmann«, sagte Arto Söderstedt auf schwedisch.
Marco di Spinelli betrachtete ihn mißtrauisch.
»Dann bedanke ich mich«, sagte Arto Söderstedt, kippte den Calvados hinunter und stand auf.
»Sind Sie fertig?« fragte di Spinelli verblüfft.
»Sie hatten es doch so eilig. Ich möchte Ihrer wichtigen New-York-Reise nicht im Wege stehen. Ich habe erfahren, was ich wollte. Danke. Ich hoffe, wir sehen uns wieder.«
Und damit war er draußen im Vorzimmer, bevor Marco di Spinelli aus dem Sessel hochgekommen war. Die Brille saß am Schreibtisch, blätterte in einem Papierstapel und sah ihn verwundert an. Söderstedt ging weiter in den Gang hinaus. Da saßen die drei Typen und kauten Äpfel. Sie warfen wie auf Kommando die Äpfel in einen Papierkorb und vollführten Bewegungen in Richtung der ausgebeulten Partien ihrer Jacketts. Es sah aus wie Simultanschwimmen.
»Teamwork«, sagte Arto Söderstedt und nahm Fahrt auf durch die blendenden Gänge. Ein Typ überholte ihn, die anderen blieben hinter ihm. Wenn man die Prozedur nicht befolgte, wurde man vermutlich entlassen. Statt einer Abfindung bekam man einen Zementklotz um die Füße. Auch nicht schlecht.
Ja, Arto Söderstedt benahm sich seltsam. Er blieb auf dem Bürgersteig stehen und blinzelte in die rote Sonne, die gerade hinter den Mailänder Hausdächern versank. Er benahm sich seltsam, weil er fand – doch das war so vage, nur eine Ahnung, wie eine erste kleine Andeutung –, daß er genau das erfahren hatte, was er erfahren wollte.
Onkel Perttis berühmte Schwafeltaktik hatte funktioniert.
Marco di Spinelli kannte Leonard Sheinkman. Nicht als Fünfundachtzigjährigen vielleicht, aber bestimmt als Fünfunddreißigjährigen.
Und das war 1947.
25
Viggo Norlander sollte mit zwei Damen, die nicht von Pappe waren, Videos ansehen. Allein mit den Damen in einem Raum von schweißtreibender Enge spürte er fast einen Anflug von Geilheit, als er auf die Play Taste des Videorecorders drückte.
Das grünliche Stoppelhaar
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