Tiefer
die oft Leder oder strenge schwarze |36| Uniformen trugen, Zigaretten mit Spitze rauchten und über Marquis de Sade oder Fotografien des göttlichen Jan Saudek sprachen.
Eine dieser Frauen, die die strengen schwarzen Kostüme in ihrer eigenen Modelinie «La Gouvernante» entwarf, nannten sie Undine,
wohl weil sie hüftlange rote Haare hatte, die sie zu einem bizarren Kunstwerk auftürmte. Und diese Undine sah mich mit ihren
schläfrigen eyeliner-umrahmten Augen auf eine Weise an, dass ich jedes Mal wegsehen musste, und murmelte ab und zu etwas Orakeliges.
Ich fand sie wunderbar. Sie hielt ihr Glas wie die Absinthtrinkerinnen auf den blauen Picassogemälden, und in ihrer Gegenwart
schienen sich immer alle etwas langsamer zu bewegen und leiser zu sprechen als sonst. Eigentlich hätte ich lieber mit ihr
geschlafen als mit Josephus, aber Undine durfte man nicht einmal zur Begrüßung küssen, obwohl sonst viel geküsst wurde in
dieser Runde. Niemand fasste sie an, aber alle hingen an ihren Lippen.
Einmal stakte eine stark geschminkte Frau in einem bodenlangen Paillettenkleid an unseren Tisch, und Undine beugte sich zu
ihr und sagte: «Toll siehst du aus. Schöne Lippen.» Und die Frau sagte: «Gerade aufgespritzt. In zwei Wochen machen sie den
Rest. Schnapp Schnapp.» Undine lachte und fragte, ob er jetzt anders küsse, seit er beschlossen habe, eine Frau zu sein, und
als die im Pailletenkleid sich herunterbeugte und die Lippen spitzte, gab Undine Josephus, der neben mir saß, ein Zeichen,
und er streckte sich an mir vorbei und |37| küsste den Transvestiten lange. Ich konnte ihre Zungen sehen und Josephus’ Grinsen, das sich langsam in den Kuss schlich.
Als sie sich voneinander lösten, sagte Josephus: «Du küsst noch genauso wie vorher, als du ein Mann warst.» – «Das liegt daran,
dass ich noch Eier habe», brummte die Frau im Paillettenkleid viel tiefer als vorher, zog sich einen Stuhl heran und drängte
sich an mir vorbei, um sich breitbeinig zu Josephus zu setzen. Ihre beringte und perfekt manikürte Hand rutschte in Josephus’
Schritt und öffnete seinen Reißverschluss. Zwei Finger schlüpften hinein und blieben einfach dort mit einer Bestimmtheit,
wie sich alte Damen an ihrer Handtasche festhalten.
Ich sah an diesem Abend immer wieder von Josephus zu Undine, die ich beide sexy fand, und auf den jungen Transvestiten, der
wie eine Mischung aus beiden war. Und ich wusste, dass ich ein zweites erstes Mal haben wollte. Etwas ohne Desinfektionsmittel
und Luxushotel. Nicht so steril, nicht mit dem Charme eines ärztlich verordneten Gebärmutterhalsabstrichs, sondern etwas Intensives,
etwas ganz anderes, ein Geheimnis. Die Herrin der Geheimnisse war Undine, und als ein Platz frei wurde, rutschte ich neben
sie. Irgendwie war mir klar geworden, dass ich nur über sie an Josephus und an das, was sie und Josephus wussten, herankommen
könnte. Undine hasste Geschwafel, also kam ich gleich zur Sache. «Undine», sagte ich, «ich bin Jungfrau. Und ich will mit
Josephus schlafen.» – «Eigentlich willst du doch mit mir schlafen», sagte sie und sah mir mit diesem |38| verhangenen Blick direkt in die Augen. «Josephus», sagte sie laut über den Tisch hinweg, sodass es alle hören konnten, «deine
Freundin möchte mit dir schlafen, aber mit mir eigentlich auch. Und außerdem ist sie Jungfrau.» Josephus lächelte, glitt neben
mich und küsste meinen Hals und dann meinen Mund. Ich schloss die Augen, weil ich instinktiv wusste, dass er Undine ansah,
während er mit seiner Zunge über meinen Gaumen tastete. Ich stellte mir Undines Mund vor und ob er so kühl und salzig schmecken
würde, wie ich es mir vorstellte. Dann streichelte er meine Brust und sagte: «Und die Prinzessin wird es bekommen.» Undine
nickte huldvoll zu meiner Krönung. Wie abgesprochen standen er und Undine auf, zogen ihre langen schwarzen Armeemäntel über
und nahmen mich in die Mitte. Sie hakten mich beide unter, sodass ich mich fühlte, als würde ich gerade zu einem Verhör abgeführt.
Es kam so selbstverständlich, dass ich mich später manchmal gefragt habe, ob sie es nicht schon vorher verabredet hatten.
Josephus’ Wohnung bestand aus einem winzigen Zimmer, aber es gab ein großes Bett, das mit blauer Bettwäsche bezogen war, auf
der goldene Sterne, Monde und Sonnen aufgedruckt waren. Ein Himmel nur für mich, ein ganzes Universum. Undine zündete sich
eine Zigarette an und setzte
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