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Tiefer

Titel: Tiefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Andresky
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mitten in der Arbeit anruft und ich dann das Gespräch abwürgen muss und zum Beispiel sage:
     «Tut mir Leid, Maus, aber ich bin gerade dabei, mich selbst zu entjungfern, weil ich einfach zu schüchtern bin, um einen Boy
     kennen zu lernen, und nächste Woche doch schon siebzehn werde. Ich habe eine Schlangengurke so zurechtgeschnitten, wie ich
     mir einen Penis vorstelle, und jetzt liegt sie in heißem Wasser, damit sie nachher Körpertemperatur hat, wenn es zur Sache
     geht, ich hätte es ja mit Möhren versucht, die sind handlicher, und ich hätte sie anschließend auch im Stall an die Pferde
     verfüttern können, aber Möhren erwärmen sich so schlecht, und ein Penis ist doch ein Schwellkörper, oder? Oder ist das doch
     ein Knorpel? Ein Muskel vielleicht? Aber egal, der muss doch warm sein, oder? Ich werde mich also gleich deflorieren, dafür
     brauche ich so bis acht, schätze ich, dann kommen die Nachrichten, dann muss ich das Laken vom Futon entsorgen, weil das natürlich
     über und über voll Blut ist und meine Mama das nicht sehen darf, das wird so bis halb neun dauern, aber dann rufe ich zurück,
     Maus, ja?» Alles gelogen, alles, was in Zeitschriften steht, ist gelogen. Erfundene Geständnisse stehen unter Fotos von Leuten,
     die sich nie dazu geäußert haben, und die Namen, die dabeistehen, sind dann auch noch «von der Redaktion geändert».
    Ich meine, wenn man sich mal so zurückerinnert, wie |34| war es denn das erste Mal? Meins fand in einem Luxushotel statt, weil der Auserwählte ein Arzt war, was er zu jeder passenden
     und unpassenden Gelegenheit ins Gespräch einfließen ließ («ich nehme die Knoblauchsuppe oder vielleicht doch lieber die Minestrone,
     als Arzt kann ich mir ja keinen schlechten Atem leisten» – komisch, als Liebhaber war er nie so fürsorglich – vielleicht hätte
     ich unsere gemeinsamen Stunden mit einem kleinen Plastikkärtchen abrechnen oder Trombosestrümpfe tragen sollen?), und dauerte
     exakt drei Minuten. Anschließend dachte ich die berühmten drei Wörter: War’s? Das? Jetzt? 80   Kilo rollten von mir runter, während ich dalag und nicht so recht wusste, ob es jetzt geschafft war oder ob noch was kommen
     würde. Dann jagte der Herr Doktor ins Bad, um tibetanische Waschungen an sich zu vollziehen. Also, nichts gegen Reinlichkeit.
     Vor dem Sex ist das eine schöne Sache, aber wenn man es dann tut, sollte einem schon klar sein (vor allem, wenn man Arzt ist),
     dass der Austausch von Körperflüssigkeiten nicht gerade hygienisch ist, und es ist nicht besonders loverlike, nach dem Begattungsakt
     noch eine Totaldesinfizierung dranzuhängen, während ich in Embryonalstellung liege und mir vorkomme wie eine angestochene
     Pestbeule. Selbst die Doktorspiele meiner Kindheit, bei denen man sich kichernd ein Plastikthermometer in den Po schob, waren
     aufregender. Während der «junge Mann» (bei meinen Eltern hießen alle Freunde von mir und meinen Schwestern einheitlich «der
     junge Mann», bis sie entweder ein Weihnachtsfest |35| mit uns gefeiert oder über ein Jahr lang aktuell gewesen waren, dann erst hatten sie ein Anrecht auf einen Vornamen) im Bad
     mit Domestos gurgelte oder was er sonst für nötig hielt, zog ich mich an und verließ das Hotel und beschloss, dieses erste
     Mal zu vergessen. Ein besseres würde schon kommen. Und so war es dann auch.
    Wenn das die Teenies wüssten, die jede Woche sabbernd die Köpfe über meiner Kolumne zusammenstecken oder sie sich zum gemeinsamen
     Zielonanieren vorlesen, wenn die wüssten, was wirklich passiert ist bei meinem richtigen ersten Mal, dann fänden sie mich
     entweder «cool» oder «total pervers», was zwischen vierzehn und zwanzig nah beieinander liegt.
    Ich ging mit Josephus aus, der wesentlich älter war als ich, 27, und den ich in der Tanzschule kennen gelernt hatte. Ich war
     knapp neunzehn. Das, was wir da taten, konnte man kaum Tanzen nennen, herzzerreißendes Im-Kreis-Gelatsche bei hörbarem Zählen
     wäre treffender. Aber das interessierte uns auch alles nicht so. Man konnte sich ungestraft und ohne Erklärungen anfassen,
     meine Brustspitzen unter der dünnen Bluse rieben sich beim Tango an seinem Sakko, und seine Hand rutschte gelegentlich zufällig
     tiefer, wenn er eine Promenade führen wollte, und nur darum ging es.
    Nach der Tanzstunde fuhren wir oft in einen kleinen Club, um uns mit Freunden von ihm zu treffen, und ich kam mir sehr erwachsen
     vor unter all den älteren Männern und Frauen,

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