Tiefer
mitten in der Arbeit anruft und ich dann das Gespräch abwürgen muss und zum Beispiel sage:
«Tut mir Leid, Maus, aber ich bin gerade dabei, mich selbst zu entjungfern, weil ich einfach zu schüchtern bin, um einen Boy
kennen zu lernen, und nächste Woche doch schon siebzehn werde. Ich habe eine Schlangengurke so zurechtgeschnitten, wie ich
mir einen Penis vorstelle, und jetzt liegt sie in heißem Wasser, damit sie nachher Körpertemperatur hat, wenn es zur Sache
geht, ich hätte es ja mit Möhren versucht, die sind handlicher, und ich hätte sie anschließend auch im Stall an die Pferde
verfüttern können, aber Möhren erwärmen sich so schlecht, und ein Penis ist doch ein Schwellkörper, oder? Oder ist das doch
ein Knorpel? Ein Muskel vielleicht? Aber egal, der muss doch warm sein, oder? Ich werde mich also gleich deflorieren, dafür
brauche ich so bis acht, schätze ich, dann kommen die Nachrichten, dann muss ich das Laken vom Futon entsorgen, weil das natürlich
über und über voll Blut ist und meine Mama das nicht sehen darf, das wird so bis halb neun dauern, aber dann rufe ich zurück,
Maus, ja?» Alles gelogen, alles, was in Zeitschriften steht, ist gelogen. Erfundene Geständnisse stehen unter Fotos von Leuten,
die sich nie dazu geäußert haben, und die Namen, die dabeistehen, sind dann auch noch «von der Redaktion geändert».
Ich meine, wenn man sich mal so zurückerinnert, wie |34| war es denn das erste Mal? Meins fand in einem Luxushotel statt, weil der Auserwählte ein Arzt war, was er zu jeder passenden
und unpassenden Gelegenheit ins Gespräch einfließen ließ («ich nehme die Knoblauchsuppe oder vielleicht doch lieber die Minestrone,
als Arzt kann ich mir ja keinen schlechten Atem leisten» – komisch, als Liebhaber war er nie so fürsorglich – vielleicht hätte
ich unsere gemeinsamen Stunden mit einem kleinen Plastikkärtchen abrechnen oder Trombosestrümpfe tragen sollen?), und dauerte
exakt drei Minuten. Anschließend dachte ich die berühmten drei Wörter: War’s? Das? Jetzt? 80 Kilo rollten von mir runter, während ich dalag und nicht so recht wusste, ob es jetzt geschafft war oder ob noch was kommen
würde. Dann jagte der Herr Doktor ins Bad, um tibetanische Waschungen an sich zu vollziehen. Also, nichts gegen Reinlichkeit.
Vor dem Sex ist das eine schöne Sache, aber wenn man es dann tut, sollte einem schon klar sein (vor allem, wenn man Arzt ist),
dass der Austausch von Körperflüssigkeiten nicht gerade hygienisch ist, und es ist nicht besonders loverlike, nach dem Begattungsakt
noch eine Totaldesinfizierung dranzuhängen, während ich in Embryonalstellung liege und mir vorkomme wie eine angestochene
Pestbeule. Selbst die Doktorspiele meiner Kindheit, bei denen man sich kichernd ein Plastikthermometer in den Po schob, waren
aufregender. Während der «junge Mann» (bei meinen Eltern hießen alle Freunde von mir und meinen Schwestern einheitlich «der
junge Mann», bis sie entweder ein Weihnachtsfest |35| mit uns gefeiert oder über ein Jahr lang aktuell gewesen waren, dann erst hatten sie ein Anrecht auf einen Vornamen) im Bad
mit Domestos gurgelte oder was er sonst für nötig hielt, zog ich mich an und verließ das Hotel und beschloss, dieses erste
Mal zu vergessen. Ein besseres würde schon kommen. Und so war es dann auch.
Wenn das die Teenies wüssten, die jede Woche sabbernd die Köpfe über meiner Kolumne zusammenstecken oder sie sich zum gemeinsamen
Zielonanieren vorlesen, wenn die wüssten, was wirklich passiert ist bei meinem richtigen ersten Mal, dann fänden sie mich
entweder «cool» oder «total pervers», was zwischen vierzehn und zwanzig nah beieinander liegt.
Ich ging mit Josephus aus, der wesentlich älter war als ich, 27, und den ich in der Tanzschule kennen gelernt hatte. Ich war
knapp neunzehn. Das, was wir da taten, konnte man kaum Tanzen nennen, herzzerreißendes Im-Kreis-Gelatsche bei hörbarem Zählen
wäre treffender. Aber das interessierte uns auch alles nicht so. Man konnte sich ungestraft und ohne Erklärungen anfassen,
meine Brustspitzen unter der dünnen Bluse rieben sich beim Tango an seinem Sakko, und seine Hand rutschte gelegentlich zufällig
tiefer, wenn er eine Promenade führen wollte, und nur darum ging es.
Nach der Tanzstunde fuhren wir oft in einen kleinen Club, um uns mit Freunden von ihm zu treffen, und ich kam mir sehr erwachsen
vor unter all den älteren Männern und Frauen,
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