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Tiefer

Titel: Tiefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Andresky
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Kirchenmauer lehnten und mich taxierten. Wo die Jugend noch so demonstrativ verkommen kann, gibt es meistens Zivilisation,
     und das war meiner Meinung nach genau das, was dieses ländliche Disneydorf brauchte. Und ich, ich brauchte einige Tage Ruhe
     und Frieden und hundertzwanzig Quadratmeter neutralen Boden, auf dem Falk und ich zum ersten Mal proben konnten, wie wir uns
     als Doppelpack wohl machen würden. Dreamteam oder Rosenkrieg – um das herauszufinden, war Hellas Angebot, ihr Häuschen urlaubstechnisch
     für ein paar Tage zu hüten, genau das Richtige. Falk ging mit dem Zettel, den Hella uns geschickt hatte und der den großartigen
     Namen «Stadtplan» eigentlich nicht verdiente, weil neben dem Flüsschen, der Kirche und den zwei Dutzend Straßen nur noch sämtliche
     Brunnen und Geschäfte eingezeichnet waren, in das nächste Café, um, wie ich vermutete, mit dem Kiefer voran in das nächste
     Blech Butterkuchen zu fallen und, wie ich wusste, die Bedienung nach dem Weg zu Hellas Häuschen zu fragen. Ich beschloss, |68| mich in der Zwischenzeit ein bisschen zu amüsieren, und stieg aus. Die Halbstarken beäugten mich, wie ich mich neben dem Auto
     streckte und räkelte. Ich sehe ganz bestimmt nicht nach Kittelschürze aus und nahm mir vor, dem jungen Dorfgemüse etwas zu
     bieten, öffnete nachlässig die obersten beiden Knöpfe meiner ohnehin knappen Bluse, schob die Sonnenbrille ins Haar und schlenderte
     auf die Pickelwirte zu. Die waren erwartungsgemäß beeindruckt und überspielten das mit einem merkwürdigen unkontrollierten
     Herumschlenkern von Armen, Beinen und Hälsen, das wohl cool sein sollte, aber eher so aussah, als seien sie Marionetten der
     Augsburger Puppenkiste unter LSD.   Dabei unterhielten sie sich lautstark über «Bräute». Zwischen ihren hingebellten Sätzen saugten sie so krampfhaft an den völlig
     durchweichten Zigarettenstummeln, dass ich schon befürchtete, sie würden gleich daran ersticken oder sie wenigstens verschlucken.
     «Na, Jungs», sagte ich so verführerisch es ging und lächelte sie liebenswürdig an, «wisst ihr denn nicht, dass Rauchen impotent
     macht?» Sie starrten mir ins Gesicht, der neben mir fing an zu husten. Ich klopfte mitleidig seinen Rücken. «Nein wirklich»,
     säuselte ich, «das Nikotin verengt die Blutgefäße, und wenn dann die Schwellkörper in euren Schniepelchen wachsen und sich
     füllen wollen, dann geht das nicht mehr, und dann», ich senkte geheimnisvoll die Stimme, «dann sterben euch die Eier ab. Ehrlich
     wahr.» Eigentlich hatte ich noch erzählen wollen, dass erste Anzeichen für das Verfaulen bei lebendigem |69| Leib ein Kribbeln zwischen den Beinen und ein unstillbarer Rubbelzwang war, aber da rief mich Falk auch schon, der mittlerweile
     wieder am Auto stand und erwartungsgemäß einen Zuckerkrümelrand auf der Oberlippe hatte: «Birgit komm, das ist noch ein Stück.»
     Ich zwinkerte den Schrumpfschniedelchen zu und ging mit schwingendem Hintern zum Auto zurück. «Hast du ihnen erzählt, dass
     Rauchen impotent macht?», fragte Falk mitleidig, ich grinste: «No brain no pain.» Er seufzte.
    Hella wohnte auf einem Hügel ein Stück abseits vom Dorf. Ihr Fachwerkhaus war klein und reetgedeckt und sah aus wie aus Fimo
     modelliert. Hinter dem Haus erstreckte sich ein Garten, in dem sich Hella, die als Redakteurin für ein Gartenmagazin arbeitete,
     austobte. Rundherum hatte sie bunte Blumenbeete angelegt, der Rasen sah aus, als käme Bernhard Langer alle paar Tage vorbei,
     um Golf darauf zu spielen, und unter den perfekt gestutzten Bäumen lauerten dickbäuchige Tigerenten aus Stein, deren Herstellung
     sie in der letzten Ausgabe gelangweilten Hausfrauen empfohlen hatte. «Wie herrlich», rief ich, war glücklich, wenigstens ein
     paar Tage hier wohnen zu dürfen, und mindestens ebenso glücklich, es nicht lebenslänglich tun zu müssen. Wir richteten uns
     ein, packten unsere Koffer aus und machten es uns auf der Terrasse gemütlich. Falk hatte sich seinen beigen Trench als Kissen
     in den wie immer schmerzenden Rücken geschoben und blätterte in einem dicken Bildband über Klaus Kinski und begeisterte |70| sich wieder mal darüber, wie irre ein Mensch werden konnte. Vielleicht waren es die Tigerenten, vielleicht mein Triumph an
     der Kirche, der mich unvorsichtig machte und mich einen Moment vergessen ließ, dass jede Idylle irgendwo einen Kratzer hat.
    Den sah ich dann, als ich zum Kaffeekochen in die Küche ging. Der

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