Tiefer
heraus. Ich lugte vorsichtig um die Ecke. Tatsächlich: Im Beet vor dem Schlafzimmerfenster
stand eine dunkle Gestalt zwischen den Tulpen. Ich schob mich an der Hauswand entlang und hoffte, dass ich nicht in irgendetwas
Krabbeliges greifen würde. Von der anderen Seite sah ich Ulrike heranschleichen. Dann machte sie ein Geräusch, das so ähnlich |82| klang wie das Grunzen ihres Freundes, die Spannerin drehte sich um, und Ulrike stürzte sich auf sie. Beide gingen zu Boden.
Und ich stand wie Prinzesschen daneben, zuckte manchmal aus Solidarität, wenn Ulrike einen Hieb einstecken musste, wusste
aber sonst nicht, was ich hätte tun können, ohne mir die Fingernägel abzubrechen. «Wie wär’s», keuchte Ulrike, als sie die
Gestalt im Schwitzkasten hatte, «wenn du endlich mal die Taschenlampe einschalten würdest?» Die Idee war gut, und das tat
ich dann auch gleich.
Im gelben Licht der Taschenfunzel sah mir schmerzverzerrt und verschwitzt Falks Gesicht entgegen. Ich war so perplex, dass
ich gar nicht auf die Idee kam, Ulrike Bescheid zu sagen, wen wir da erlegt hatten. Erst als Ulrike ihren Griff fester zog
und Falk aufstöhnte, murmelte ich noch völlig fassungslos: «Aber das ist ja Falk.» Und Ulrike ließ so schnell los, dass sie
hintenüber ins Beet fiel und die restlichen Tulpen niedermähte. Ich half erst ihr und dann Falk hoch und zog ihn ins Haus.
Ulrike verabschiedete sich taktvoll ins Gästezimmer, nachdem ich ihr versprochen hatte, ihr am nächsten Morgen alles haarklein
zu erzählen. Falk saß auf dem Sofa, und Bela Lugosi, der immer noch in seinem komischen Outfit über den Fernseher taperte
wie ein kurzsichtiger rheumageplagter Transvestiten-Greis, sah fast noch fitter aus.
Ich versuchte, mir die Geschichte zusammenzureimen, kam aber zu keinem Ergebnis. Wieso war Falk hier und nicht in der Klinik?
Wie konnte er gleichzeitig innen |83| bei mir im Schlafzimmer sein und draußen vor der Tür als Spanner herumschleichen? Wem gehörte der Lackschuh? Ich gab es auf
nachzudenken. Man muss seine natürlichen Grenzen kennen. Falk saß auf der Sesselkante, und sein Körper bildete ein großes,
schuldbewusstes P. P. für Peinlichkeit. «Also?» Ich versuchte, so richtig zickig zu klingen, obwohl ich nahe dran war, laut loszulachen. Und
da erzählte er mir, dass das, was wir neulich im Bett gehört hatten, wohl tatsächlich eine Katze gewesen war. Den Schuh hatte
er in Hellas Mülltonne gefunden. «Ich hab halt gedacht, es macht dich an, wenn uns eine Frau beobachtet.» Ich versuchte, nicht
zu grinsen, denn das hatte es ja auch.
«Und wieso taperst du draußen durch die Botanik, statt bei Professor Mustu zu schuften?»
«Der eine Kollege war plötzlich doch wieder da, da gab’s für mich nicht genug zu tun. Also dachte ich, ich komme zurück und
erschrecke euch ein bisschen, damit du dich sicherer fühlst, wenn ich bei dir bin.» Er schluckte, «ich hab mir halt gewünscht,
dass du das Gefühl hast, dass du mich brauchst». Die Absicht mochte ja goldig sein, aber mich zu erschrecken, damit er den
Retter machen konnte, fand ich wirklich nicht sehr nett. Strafe musste also sein. «Deine Rolle als Indiana Jones», sagte ich
streng, «ist hier ein für alle Mal vorbei.» Er schluckte und wollte aufstehen, vielleicht hatte er es als endgültigen Rausschmiss
verstanden. «Ich wäre allerdings geneigt», fuhr ich fort, «dich als Minnediener zu behalten. Dieser Minnedienst umfasst die
wortlose Erledigung |84| sämtlicher Handreichungen im Haushalt, die in dein Ressort fallen, und besonders die Lobpreisungen der Hausherrin. Und damit»,
ich setzte mich auf seinen Schoß, «darfst du jetzt gleich mal anfangen. Also: Lobpreise mich!»
Ich muss sagen, diese Form der Beziehung funktioniert. Falk trägt seitdem anstandslos unsere Getränkekästen, ohne dass ich
ihn stundenlang bewundern muss, wie es nur Männer aushalten können, ohne rot zu werden. Und wenn er mich besonders wortreich
gepriesen hat, meine Intelligenz, meine Schönheit, die Form meines Ohrläppchens, meinen elfengleichen Gang und meine Engelsstimme,
dann lege ich den Zeigefinger auf seinen Mund, beuge mich zu seinem Ohr und erzähle ihm eine Geschichte. Und manchmal kommt
darin eine attraktive, vernachlässigte Frau in roten Lackpumps vor, die sich nachts zu einsamen Häusern aufmacht, um uns dort
zu beobachten. Und eines ist sicher: Sie bekommt immer etwas zu sehen.
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