Tiefflug: Der vierte Fall für Kommissar Jung (German Edition)
beschwor er Jung. »Wie kommst du wieder an das Auto? Hast du schon ’ne Idee? Ohne Auto bist du aufgeschmissen.«
Der Kaffee war fertig. Jung stellte Tassen, Kanne, Zucker und Sahne auf den Küchentisch. Er schwieg mürrisch. Sein Verstand verbot ihm, sich weiter aufzuregen. Aber Tiny wollte von seinen Provokationen nicht ablassen.
»Ich wüsste schon, wo ich es finde.«
»Du scheinst eine Menge zu wissen, von dem du glaubst, dass andere es nicht wissen.«
Tiny stutzte kurz. »Wollen wir wetten, dass ich das heute noch rausbekomme?«
»Ich wette nicht. Ich bevorzuge meine eigenen Methoden.«
»Welche denn, wenn ich fragen darf?«
»Wenn du Glück hast, wirst du sie nie erfahren. Wenn du Pech hast, wirst du dich dein Leben lang daran erinnern. Ich habe dir das jetzt schon zum zweiten Mal gesagt und sage es kein drittes Mal.« Jungs ruhige Selbstgewissheit war gefährlich geworden, und sein Tonfall verriet, dass er die Diskussion für beendet hielt und nichts ihn mehr bewegen konnte weiterzumachen.
»Okay. Wir werden sehen. Ich geh jetzt mal.«
»Adeus, Tiny.«
»Até já, Tomi. Man sieht sich.«
Tomi
Er fluchte leise vor sich hin, als er, mit einer Tasse Kaffee bewaffnet, zurück auf die Terrasse ging. Er setzte sich in seinen Stuhl. Die flache Dunstschicht über dem Wasser hatte sich aufgelöst. Die Sonne stand hoch am Himmel und wärmte ihn. Wolken konnte er nirgendwo entdecken. Eine leichte Brise war aufgekommen. Sie bewegte die Blätter in den Zitrusbäumen und wehte das intensive Aroma der Zitronen und Orangen auf die Terrasse. Der Duft des Tages hatte sich verändert.
Was hinderte ihn eigentlich daran zu genießen, was sich vor seinen Augen so einladend und wohltuend präsentierte und das er sich in der trüben Feuchte Nordfrieslands nicht einmal in seinen kühnsten Träumen vorzustellen vermocht hatte? Er war angereist, um Urlaub zu machen. Und was hatte er gefunden? Das schönste Haus und die schönste Aussicht weit und breit und – Stress.
Dieser unterbelichtete Expilot von nebenan entpuppte sich als Problem. Er verfluchte seine Schwäche, die Hilfe dieses Typs in Anspruch genommen zu haben. Er nutzte das auf eine widerliche Art aus. Warum langweilte Tiny sich nur so fürchterlich? Sein Verstand sagte Jung, dass er Probleme haben musste. Aber es war nicht seine Sache, sich darüber Gedanken zu machen. Probleme hatte schließlich jeder. Tiny musste nur gestoppt werden. Seine Kumpelhaftigkeit und Hilfsbereitschaft entpuppten sich als haltlose Aufdringlichkeit. Seine Schlampigkeit im Umgang mit seinen Vorlieben machten sie zu anstößigen Lastern. Dazu passte auch die blöde BILD-Zeitung.
Für einen Augenblick überlegte Jung, ob er in seiner Kritik nicht zu weit ging. Er verwarf aber seine Einwände, weil es ihm egal war, ob er recht oder unrecht hatte. Er wollte einen Urlaub mit seiner Frau und nicht mit seinem Nachbarn und der BILD -Zeitung. Im Übrigen brauchte er auch kein Auto. Was bildete sich dieser Idiot eigentlich ein? Es würde ihn wenige Stunden kosten, um herauszufinden, wo das Vehikel steckte. Im allerschlimmsten Fall würde ein Anruf bei Franzen genügen. Die Erinnerung an ihn war ihm angenehm. Sie hatten seit dem Fall einer Gifttoten auf Sylt ein besonderes Vertrauensverhältnis zueinander. Sie teilten ein Geheimnis und unterstützten sich seitdem vorbehaltlos. Franzen würde über Interpol oder auch direkt die portugiesischen Kollegen auf die Spur setzen. Zum Glück hatte er die Nummer des Mietautos. Als guter Beamter hatte er den Vertrag an sich genommen und im Haus weggeschlossen.
Ihm war inzwischen jedes Mittel recht, für einen Urlaub nach Wunsch zu sorgen. Den Kerl würde er auf null bringen und ihn da drüben in seiner Hölle festnageln. An diesem Gedanken richtete Jung sich auf wie eine verwelkende Blume in frischem Wasser.
Außerdem glaubte er auch so zu wissen, wo Svenja und der Wagen zu finden waren. Es hätte nicht zu ihr gepasst, zurück nach Hause zu fliegen. Es hätte aber auch nicht zu ihr gepasst, große Anstrengungen zu unternehmen. Dafür dachte sie zu lebenspraktisch und wirklichkeitsnah.
Er kannte seine Frau genau, und er hörte ihr vor allem sehr gut zu. Er erinnerte sich, dass Svenja erwähnt hatte, ihr Tennistrainer verdiene im Frühjahr im Aldiana Club Algarve sein Geld.
Jung hatte ihn kennengelernt. Er mochte ihn, denn er war ein guter Lehrer. Er konnte gut mit Kindern umgehen und weckte in ihnen die Freude am Sport. Ansonsten verbrachte er
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