Tiefsee: Reise zu einem unerforschten Planeten
natürlich vom Militär, später auch von Privatpersonen – die aufzeigen, wie lange ein Taucher problemlos in einer gewissen Tiefe bleiben kann.
Die Besonderheit an Cousteaus Experimenten war nun, dass er bewiesen hat, dass Menschen, die in einer künstlichen Druckhülle leben, in der normaler Oberflächendruck von 1 bar herrscht, praktisch unbegrenzt unter Wasser bleiben können. Die einzige Beschränkung ist die Atemluft. Solange diese vorhanden ist, können Menschen auch ihr gesamtes Leben in den Tiefen unserer Weltmeere verbringen. Nach demselben Prinzip funktionieren auch Tauchboote – in ihrem druckgeschützten Inneren herrscht permanent ein Umgebungsdruck von 1 bar. Die Gefahr, einen Dekompressionsunfall zu erleiden, ist also gebannt, solange die Außenhülle der Tauchboote dem immensen Druck in der Tiefe standhältund solange genug Pressluft an Bord ist.
Apropos Pressluft: Marcus hat den Buddy-Check abgeschlossen, ein letzter Blick auf unsere modernen »Tauchtabellen«, unsere Tauchcomputer, und wir springen gemeinsam ins kühlende Nass des Roten Meeres. Bei einer Wassertemperatur von 29° Celsius und Sichtweiten von rund 30 Metern fühlen wir uns sofort wohl unter Wasser. Bereits ein erster Blick unter die Oberfläche zeigt uns die Schönheit des Korallenriffs, in das Cousteau seine Conshelf II eingebettet hat. Ein sanft abfallendes Riffdach ist über und über mit Korallen bewachsen, in denen sich unzählige Fische tummeln. Ein dicker, fast einen Meter großer, Papageienfisch verdeckt kurz mein Blickfeld. »Schon wieder ein Papagei«, muss ich kurz an Claude denken, der damals für die Atemsicherheit an Bord der Conshelf II verantwortlich war.
Ahmed, der heute auch als Diveguide fungiert, kommt in mein Blickfeld und zeigt an meiner linken Schulter vorbei hinter mich. Als ich mich umdrehe sehe ich eine Gruppe mächtiger Hammerhaie, die hinter einer überdimensionalen stählernen Zwiebel, die auf einem rund 50 Meter breiten Sand-Plateau ruht, langsam verschwindet. Aufgeregt zeige ich Marcus die Überreste von Conshelf II. Hier hatte die Mannschaft einst ihre Scooter geparkt. Ich bin so aufgeregt, dass ich mich nicht einmal näher für die Hammerhaischule interessiere, sondern nur noch für die Überreste des Habitats.
Beim Herantauchen an das Objekt unserer Begierde sehe ich bereits die starken Zerfallserscheinungen. Das Meerwasser hat im Laufe der vergangenen Jahrzehnte mehr als kräftig am Stahl der Kapsel genagt. Dennoch sieht man noch genau die einzelnen Stahlplatten, aus denen Conshelf II zusammengenietet wurde. Unzählige Hart- und Weichkorallen haben aus dem einstigen Vorzeige-Objekt ein künstliches Riff gemacht. Wir umrunden das stählerne Denkmal und tauchen darunter durch. Über uns sehen wir plötzlich eine große Öffnung, den Einstieg in die einstige »Garage«. Beim Hineintauchen kommt uns eine kleine Gruppe oranger Riffbarsche entgegen, die hier Zuflucht gesucht haben und sich nun wohl in ihrer Ruhe gestört fühlen. Im Inneren gibt es wenig zu sehen – der Zahn der Zeit hat bereits viel zu kräftig genagt. Dennoch beeindrucken die rundumlaufenden runden Löcher, durch die man eine großartige Rundumsicht auf die Rifflandschaft hat. Als wir unseren Blick weiter zur Decke des Habitats schweifen lassen, entdecken wir eine große Hartkoralle, die in der geschützten Umgebung zu einer beachtlichen Größe heranwachsen konnte.
In Gedanken versetze ich mich in jenen Sommer 1963 zurück, als Cousteau hier seinen 26. Hochzeitstag gefeiert hat und – in Champagnerlaune – Seemannslieder mit seinen Aquanauten gesungen hat. Exakt ein halbes Jahrhundert später singen hier maximal noch Riffbarsche und anderes Getier – was eben so in den Tiefen unserer Weltmeere kreucht und fleucht. Es ist dennoch überwältigend, eine technische Legende persönlich zu betauchen und dabei vor allem auch zu befühlen. Ohne diese Experimente von Cousteau und natürlich auch anderen Pionieren seiner Zeit, wären wir in der Erforschung der Tiefen unseres eigenen Planeten heute noch weitaus mehr zurück, als wir es ohnehin schon sind.
Wir verlassen die »Garage« und tauchen entlang des zerklüfteten Riffs weiter in Richtung Südosten, als plötzlich das Riff in einem gewaltigen Abbruch in der Tiefe verschwindet. Ab hier geht’s nur noch abwärts, denke ich mir – es ist keinerlei Grund in der Tiefe auszumachen, es geht einfach nur senkrecht ins Nichts. Aus dem Briefing kann ich mich noch erinnern, rund 600
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