Tiefsee: Reise zu einem unerforschten Planeten
weiter. Drei ältere Sudanesen mit den typisch dunklen, wettergegerbten Gesichtszügen haben Palmwedel zu provisorischen Besen gebunden und fegen damit den Platz, auf dem einige kleine Restaurants auf ihre Gäste warten. Außer Marcus und mir sind keine Touristen zu sehen. Im Wasser schaukeln unzählige kleine Fischerboote sanft in den Wellen. Zwei Schiffe passen nicht so recht in diese orientalische Hafenatmosphäre: zwei strahlend weiße Yachten, die zwischen den halb verfallenen Holzbooten aufragen. Eine davon, die M/S Royal Evolution, soll uns in Kürze zu den Überresten von Cousteaus Conshelf-Experiment bringen.
Mühsam kämpfen wir uns den Weg frei zwischen dutzenden Sudanesen, die wie aus dem Nichts aufgetaucht sind und rund um uns Decken ausbreiten und binnen kürzester Zeit einen kompletten Markt improvisieren. Hätten wir Kinderspielzeug, Plastikgeschirr oder alte Feldflaschen benötigt, wären wir hier bestens aufgehoben gewesen. Aber – kein Bedarf, und so fallen wir in Laufschritt und setzen über die Gangway auf unsere »Königin« über. Das erst vor kurzem in Dienst gestellte Safariboot, das normalerweise Tauchtouristen aus aller Herren Länder von Ägypten aus zu den diversen Tauchplätzen vor der Küste des Sudan bringt, hat extra für uns einen Zwischenstopp in Port Sudan eingelegt und soll Marcus und mich in Kürze zur ersten Station unserer Reise zu einem unerforschten Planeten bringen – zu unserem eigenen.
Ahmed, ein kleiner, durchtrainierter Ägypter begrüßt uns fröhlich an Bord. Das erste, das mir an ihm auffällt, sind seine abstehenden Ohren. Still frage ich mich, ob die wohl auch Zeichen einer »königlichen Evolution« sind.
Beim Abendessen nutze ich die Gelegenheit, Ahmed über unseren geplanten Tauchgang am nächsten Tag auszufragen. Ahmed kennt dieses Gebiet – und die Geschichte der Conshelf-Experimente – wie seine Westentasche. »Kapitän Jacques-Yves Cousteau hat 1962 sein erstes Unterwasser-Habitat errichtet, und zwar vor der Küste seiner Heimat Frankreich, genauer gesagt vor Marseille. Die beiden ersten Aquanauten, Albert Falco und Claude Wesly, haben in diesem nur 5 Meter langen und 2,5 Meter breiten »Unterwasser-Lebensraum«, was Habitat ja eigentlich heißt, eine ganze Woche verbracht.«
»Und hier im Sudan? Was war hier die Besonderheit?« Mein Wissensdurst war noch lange nicht gestillt.
Cousteau wollte nach dem Erfolg seines ersten Habitats aller Welt zeigen, dass es keine Grenze für ein Leben unter Wasser gibt – solange nur genügend Luft zum Atmen da ist. Bereits ein Jahr nach der geglückten Premiere in Frankreich eröffnete er sein zweites Unterwasserhaus, Conshelf II vor der Küste des Sudan. Dieser Komplex sollte noch weitaus gewaltiger sein, als der erste. Hier ließ Cousteau eine richtige, kleine Unterwasserstadt errichten. Das knallgelbe Haupthaus hatte dabei die Form eines vierarmigen Seesterns und wurde auf einem Sandplateau in 10 Meter Tiefe errichtet. Direkt daneben lagen das »Aquarium«, in dem unter geschlossenen Bedingungen Meereslebewesen untersucht wurden, die »Garage« für die Unterwasser-Scooter der Mannschaft, um die Umgebung besser unter die Lupe nehmen zu können, und der »Hangar« zur Aufbewahrung der Ausrüstung. 15 Meter tiefer am Riff lag ein weiterer Ausleger der kleinen Stadt, die »Tiefenstation«.
Fünf Personen wohnten hier im Juni 1963 einen ganzen Monat lang, genauer gesagt 30 Tage, in der Tiefe des Roten Meers. Um die Atemluft zu kontrollieren hatten sie einen gefiederten Mitbewohner, den Papagei Claude. Die Strom- und Luftversorgung erfolgte über eine fixe Verbindung vom Festland aus. Damit bei den fünf Pionieren kein Lagerkoller aufkam, mangelte es ihnen an nichts. Eine vollausgestattete Küche sorgte für entsprechend lukullische Mahlzeiten, Süßwasser und Klimaanlage für eine saubere Wohnumgebung und ein Telefon und ein Fernseher für die Verbindung mit der Außenwelt.
Und morgen soll es soweit sein – wir werden die erste technische Legende im Laufe unserer Recherchen persönlich in Augenschein nehmen. Nur noch einmal schlafen.
Shaab Rumi, Rotes Meer, Indischer Ozean
Montag, 08.43 Uhr
Nach einem ausgiebigen Frühstück fühlen wir uns rundum gestärkt für den ersten Tauchgang. Das Boot schaukelt sanft rund zweihundert Meter vor der Küste, Wüste, soweit das Auge reicht. Im Hintergrund erahnt man die massive Bergkette mehr, als man sie tatsächlich sieht. Die Luft flirrt aufgrund des ablandigen Windes,
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