Tiefsee
zu ihrer Suite auf dem Sonnendeck. Sie schleuderte die Schuhe von den Füßen, hing ihren Rock und die Jacke auf und streckte sich auf dem übergroßen Bett aus.
Das Bild von Alan Morans entsetztem Gesicht ging ihr durch den Kopf, und sie versuchte sich einzureden, daß es bestimmt jemand war, der dem Abgeordneten sehr ähnlich sah, vielleicht hatte ihr auch der Strahl der Taschenlampe eine gewisse Ähnlichkeit vorgespiegelt.
Die Vernunft sagte ihr, daß es nur ein Spiel ihrer Phantasie war.
Dann fiel ihr Pitts Frage im Restaurant ein. Ob sie Gerüchte über eine hochgestellte Person der Regierung gehört habe, die verschwunden war. Nun bestärkte ihr wacher Instinkt sie, daß sie doch recht hatte.
Sie breitete einen Lageplan des Schiffes mit seinen Deckdiagrammen auf dem Bett aus. Es schien ein aussichtsloses Unterfangen, Moran in einer schwimmenden Stadt mit 230 Kabinen, den Quartieren für eine Besatzung von 300 Mann, Laderäumen und Maschinenraum, alles verteilt auf elf fast 150 Meter lange Decks, suchen zu wollen. Sie mußte auch darauf Rücksicht nehmen, daß sie eine Vertreterin der amerikanischen Regierung auf russischem Territorium war. Wohl kaum würde sie von Kapitän Pokofsky die Erlaubnis erhalten, jeden Winkel und jedes Versteck in seinem Schiff zu durchsuchen.
Wahrscheinlich wäre es leichter, ihn vom Wodka zum Kentucky-Bourbon zu bekehren.
Bevor sie herumzuflattern begann wie ein aufgescheuchtes Huhn, entschloß sie sich verständlicherweise dazu, erst einmal festzustellen, wo sich Alan Moran vermutlich befand.
Wenn er daheim in Washington vor dem Fernseher saß, konnte sie den ganzen Spuk vergessen und sich eine Nacht lang ordentlich ausschlafen. Sie zog sich wieder an und ging zum Fernmelderaum. Sie war froh, daß er nicht überfüllt war und sie nicht warten mußte.
Ein hübsches russisches Mädchen in adretter Uniform fragte Loren, wo sie anzurufen wünschte.
»In Washington D.C.«, antwortete sie. »Mit Voranmeldung für Miß Sally Lindemann. Ich werde Ihnen die Nummer aufschreiben.«
»Wenn Sie bitte in Kabine fünf warten wollen, werde ich Ihnen eine Satellitenverbindung herstellen«, teilte ihr das Mädchen in nahezu fehlerfreiem Englisch mit.
Loren setzte sich geduldig hin und hoffte, daß ihre Sekretärin zu Hause war. Das war auch der Fall: Eine schläfrige Stimme antwortete der Telefonistin und bestätigte, daß sie Sally Lindemann war.
»Bist du es, Chefin?« fragte Sally, als Loren durchgestellt wurde. »Ich wette, du tanzt voller Leidenschaft mit einem hübschen Playboy unter den Sternen der Karibik. Habe ich recht?«
»Nicht einmal annähernd recht.«
»Ich hätte mir beinahe denken können, daß es ein geschäftlicher Anruf ist.«
»Sally, du mußt für mich mit jemandem Verbindung aufnehmen.«
»Eine Sekunde.« Es folgte eine Pause. Als Sallys Stimme wieder erklang, überschlug sie sich fast vor Eifer. »Ich habe mir Block und Bleistift geholt. Um wen handelt es sich, und was soll ich sagen?«
»Der Kongreßabgeordnete, der gegen mein Rocky Mountains Wasserprojekt war und es torpedierte.«
»Du meinst dieses alte Backpflaumengesicht Mo—«
»Genau um den handelt es sich«, schnitt ihr Loren das Wort ab. »Du sollst möglichst persönlich mit ihm sprechen. Fang bei ihm zu Hause an. Wenn er ausgegangen ist, frag seine Frau, wo er zu erreichen ist. Wenn sie Schwierigkeiten macht, erklär ihr, daß es sich um eine dringende Kongreßangelegenheit handelt.
Sag, was immer notwendig ist, aber mache ihn ausfindig.«
»Wenn ich ihn finde, was dann?«
»Nichts. Sag ihm, es handelt sich um einen Irrtum.«
Es folgten einige Sekunden der Stille. Dann fragte Sally vorsichtig: »Bist du betrunken, Chefin?«
Loren lachte, weil sie wußte, wie verwundert Sally sein mußte.
»Stocknüchtern.«
»Hat das bis morgen Zeit?«
»Ich muß so schnell wie möglich wissen, wo er sich aufhält.«
»Auf meinem Wecker ist es nach Mitternacht«, protestierte Sally.
»Sofort!« befahl Loren scharf. »Ruf mich augenblicklich an, sobald du sein Gesicht siehst und seine Stimme hörst.«
Sie legte auf und ging zu ihrer Suite zurück. Der Mond stand direkt über ihr, und sie blieb ein paar Minuten auf Deck und wiegte sich sehnsüchtig in Gedanken, daß Pitt neben ihr stand.
Loren hatte soeben ihr morgendliches Makeup aufgelegt, als es an ihrer Tür klopfte.
»Wer ist draußen?«
»Der Steward.«
Sie ging zur Tür und öffnete. Ihr Kabinensteward hob die Hand zu einem formlosen Gruß. Er
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