Tiefseeperle
sie stammelte nun Satzfragmente und sorgte sich nun, als sie registriert hatte, dass das Spiel weitergehen würde, wie sie in den Pavillon hinkommen sollte. Die Partygäste würden sie erkennen, sie würde auffallen … ihr Catsuit war arg in Mitleidenschaft gezogen, eine Maske hatte sie nicht zur Hand. Die würde sie aber brauchen, wenn sie durch die Halle ging.
„Ich habe dir etwas hingelegt“, sagte er nur. Seine weiße Maske leuchtete im Halbdunklen. Ihr Blick wanderte seiner zeigenden Hand nach. Das Licht bot nur einen schemenhaft Blick auf ein rotes Kleid. Was sollte dies nun bedeuten? Was hatte er vor?
Unsicherheit machte sich in ihr breit. Der Graf nickte mit dem Kopf und sagte im Gehen: „Ich erwarte dich!“ Damit verließ er das Zimmer.
Mit seinem Verlassen des Raumes verlor Victoria auch ihre Fassung. Sie rappelte sich auf, ihr Kopf glühte. Sie hatte gerade das Gefühl zu ersticken. Luft, sie brauchte nun frische Luft. Sie öffnete das Fenster. Irgendeine Uhr schlug zehn Mal. Der Himmel war schwarz, und am Horizont zogen die Wolken rasend schnell vorbei. Die Bäume rauschten und wiegten sich im Wind, Vorboten eines Unwetters - kein Wunder nach diesen schwül-heißen Tagen.
In ihrer Manteltasche hatte sie Zigaretten. Ihr Blick fiel nun auf das Kleid. Ein Traum in Rot. Weichfließender Stoff, fast wie eine Abendrobe. Eine farblich abgestimmte Augenmaske hing ebenfalls an dem Bügel. Jetzt fiel ihr erst die Waschgelegenheit auf, die durch einen Paravent verdeckt gewesen war. Dankbar ließ sie kaltes Wasser über ihre Arme laufen, benetzte ihren Nacken. Dann trat sie wieder an das Fenster.
Die Natur wirkte bedrohlich. Aber es passte genau zu ihrer Stimmung. Sie war aufgewühlt, vereinnahmt durch dieses intensive Erlebnis und den Gedanken an den nahenden Abschied. Dann seine Aufforderung: Er wollte sie noch einmal in seiner ganz privaten Spielstätte treffen.
Sie seufzte. Nein, das konnte sie nicht tun. Vor allen Dingen dann nicht, wenn sich ihre Vermutung bestätigen würde … sie hatte sich doch geschworen, nur noch dieses eine Mal – Maximilian zuliebe. Jetzt brachte sie der Graf in diese schreckliche Verlegenheit. Das Teufelchen und das Engelchen tobten gleichermaßen in ihr. Geh‘ zu ihm, schrie der Teufel, sie konnte ihn förmlich höhnisch lachen hören. ‚Nein, tu es nicht‘, flüsterte das Engelchen sanft.
Die Fensterläden klapperten im Wind. Fetzen von Musik wehten zu ihr herüber, Stimmen der Feierenden drangen an ihr Ohr. Alles war so irreal. Es war eine inszenierte Spaß Welt, ein Freizeitpark der bizarren Lust, dessen Parkwächter der Graf war. Ein Mann, der es liebte zu spielen. Dieser Ort hatte so gar nichts mit dem zu tun, was sie sich in ihrem Leben wünschte. War es nicht genug, dass sie ihr Geld als Domina verdiente, sollte sie nun auch ihre privaten Dinge auf eine solche geheimnisvolle und unreale Ebene ausdehnen?
„Nein, ich kann nicht!“, sagte sie plötzlich laut zu sich. Dann ging alles ganz schnell. Sie schloss das Fenster, schnappte sich ihren Mantel, verwuschelte ihr Haar über den Kopf und verließ das Zimmer. Mit gesenktem Haupt rannte sie barfuß die Treppen hinunter, lief dabei fast Maria um, vorbei an dem Vogelmann und verließ wie gejagt das Herrenhaus. Der Kies schmerzte unter ihren nackten Füßen. Doch sie musste weg. Weg von dem Ort, der ihr so gefährlich werden konnte. Wenn sie sich auf weitere Spiele einließ, dann würde es eine Katastrophe geben. Maximilian war ihr wahres Leben, nicht der Graf …
Mit Vollgas fuhr sie über die Auffahrt, und wie durch Geisterhand öffnete sich das Tor, so als habe man sie beobachtet. Der Graf stand unbeweglich in der Tür seines Hauses und betrachtete die Rücklichter des SUV. Ein leiser Seufzer entglitt ihm, als er die Tür von innen schloss.
Es hatte etwas von Flucht, und just in diesem Augenblick öffnete der Himmel seine Schleusen. Nur mit Mühe konnte Victoria noch etwas erkennen. Die Scheibenwischer schafften die Wassermassen nicht mehr, und Angst kroch in ihr hoch. Es war so unheimlich, wie der Sturm den schweren Wagen schüttelte. Mit gefühlten 30 Stundenkilometern schlich sie über die Autobahn. Vor lauter Unsicherheit steuerte sie auf einen kleinen Parkplatz. Der Regen prasselte auf das Autodach. Zittrig nahm sie ihr Telefon und drückte Catharinas Nummer. Auch wenn es schon spät war, sie musste ihre Erkenntnis loswerden.
„Victoria, Liebchen, was ist los?“, meldete sich die besorgte Stimme
Weitere Kostenlose Bücher