Tiefseeperle
ihrer Freundin. Es war klar, wenn Victoria so spät anrief, musste etwas passiert sein.
„Er ist sein Bruder!“, schrie sie ins Telefon.
„Um Himmels willen, wo bist du denn? Was ist das für ein Lärm?“
„Ich bin auf einem Parkplatz zwischen Potsdam und Berlin … es ist der Regen, die Welt geht unter!“
„Hier ist nix“, wunderte sich Catharina.
„Sage ich ja: Meine Welt geht unter.“
„Süße, mal langsam … Wo warst du denn?“
Victoria hatte selbst ihrer besten Freundin aus Scham verschwiegen, dass sie sich noch einmal mit dem Grafen treffen wollte.
„Der Graf … der Graf ist Maximilians Bruder!“, schrie sie ins Telefon.
„Bitte was? Wie kommst du darauf?“
Nun musste Victoria beichten. „Ich war ihm so nah wie noch nie, und sie sind sich so ähnlich … ich bin mir sicher!“
Obwohl Catharina Victorias Verhalten missbilligte, sagte sie ruhig: „Hast du denn sein Gesicht gesehen? Bist du dir wirklich sicher?“
„Nein, aber es kann nur so sein.“
„Hat Maximilian dir denn mal von seinem Bruder erzählt?“
„Nein, nie … aber es gibt keine andere Erklärung. Vielleicht ist es auch sein Neffe oder was weiß ich.“ Victoria war völlig aufgelöst. „Ich kriege die Krise!“, jaulte sie. „Das ist total verrückt. Oh Gott! Was mache ich nur?“
Diese Erkenntnis, die sie nun in dieser stürmischen Nacht glaubte erlangt zu haben, erschütterte ihre Seele. Das würde Maximilian, sofern er es je erfahren würde, niemals akzeptieren.
„Jetzt beruhige dich. Es ist bislang nicht herausgekommen, und wenn du dich künftig von dem Grafen fernhältst, wird er es auch nicht herausbekommen“, die Freundin versuchte, beruhigend zu wirken. Victorias Stimme klang verschnupft und hektisch, keine gute Ausgangsbasis, bei diesem Wetter wieder sicher nach Berlin zu kommen.
„Sobald das Wetter sich etwas beruhigt hat, fährst du weiter … schick mir ’ne SMS, wenn du zu Hause bist.“
Es dauerte noch eine Weile bis Victoria sich in der Lage sah, weiter zu fahren. Sie hätte so gern Maximilian angerufen, hätte sich ihn so sehr in ihrer Nähe gewünscht. Doch sie schämte sich mehr denn je, ihn so hintergangen zu haben. Dieses Gefühl ließ auch nicht nach, nachdem sie nach einer ausgiebigen Dusche in ihr Bett kroch. Es roch nach ihm. Hoffentlich würde er nie erfahren, mit wem sie ihn die ganze Zeit betrogen hatte … Ja, sie hatte es sich schön geredet – aber sie war fremdgegangen. Und trotzdem raste ein Schauer durch ihren müden Körper, als sie an das Erlebte dachte. Sie hasste sich für ihre Geilheit. So etwas war ihr noch nie passiert. Dieser Mann legte ihr die Welt zu Füßen, und sie suchte nur ihre sexuelle Befriedigung bei einem anderen.
Wie schäbig! Sie hatte nicht geahnt, wie sehr ein schlechtes Gewissen solch intensive Qualen auslösen konnte.
Irgendwann summte ihr Telefon. Eine SMS von Maximilian. Verschlafen las sie: „Meine geliebte Katze, ich vermisse Dich. Komme morgen schon früher zurück.“ Sie schämte sich so sehr, dass sie nicht antworten konnte. „Ich vermisse dich auch“, murmelte sie leise, so als könne er sie hören. Dann endlich schlief sie ein.
Einige Tage später lieferte ein Kurier ein kleines Päckchen. Der Absender war nicht vermerkt. Als Victoria es neugierig öffnete, fand sie eine kleine, rote, samtbezogene Schmuckschachtel vor. Sie öffnete sie, und ihr blitzte ein wunderbar und filigran gearbeiteter Ring aus Weißgold entgegen. Jedoch war die Fassung für den Stein leer.
Etwas verwundert nahm sie den Zettel, der dem Schächtelchen beigefügt war, und las: ‚Vic, dieser Ring ist ein Symbol. Wenn die Zeit gekommen ist, wird er vervollständigt‘.
Sie hatte keine Gewissheit, nur eine Vermutung, wer der geheimnisvolle Absender war. Gedankenverloren saß sie da und fühlte sich erschöpft. Der Graf hatte sich weit mehr in ihre Seele eingebrannt, als es gut war. Sie fühlte so intensiv, dann fühlte sie doch wieder nicht. Wie gestorben und dann doch wieder wie neu geboren. Die letzten Tage waren geprägt von so unterschiedlichen Gefühlen. Irgendwie war sie ständig zwischen der Realität und dem verzückenden Spiel mit dem Grafen gewandelt. Das hatte etwas von Alleinsein.
Völlig aus dem Nichts überrollte sie manchmal diese unsagbare Lust. Sie spürte seine Hände, wie er die Seile um ihren Körper legte und sie Stück für Stück in seine Abhängigkeit brachte. Diese Enge, diese Hilflosigkeit war so wundervoll … doch
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