Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
der zweiten Bar war ein gänzlich anderes Publikum anzutreffen. Hier standen die Deals des Tages im Vordergrund, Aktienentwicklungen, neue Märkte, der Einkaufstrip nach Hongkong oder Spekulationen ansässiger Geschäftsmänner. Anzüge, Golduhren und ein korrekter Haarschnitt waren das Bild, dem sich die Managerinnen, Assistentinnen und Boutiquebesitzerinnen hingaben. Auf dem Bartresen standen Cocktails neben Prosecco und glitzernden Feuerzeugen.
Als Kilian und Heinlein an die Bar traten, kam ein Barmann auf sie zu. Heinlein fragte ihn, ob er Furtwanger sei. Ohne eine Antwort zu geben, wandte er sich zu seinem Kollegen um.
»Ronnie«, rief er, »Kundschaft.«
Furtwanger polierte gerade ein Glas, während er sich von einem Jungmanager geduldig sein Tagwerk erzählen ließ.
Als er seinen Namen hörte, blickte er herüber. Er trug ein weißes Hemd mit Schulterpolstern, hatte seine Haare zu einem Zopf nach hinten zusammengefasst, und auf der Nase saß eine wuchtige schwarze Hornbrille. Die Gläser waren getönt, unten schwächer, oben stärker. Hätte er noch einen Fächer in der Hand, wäre der Lagerfeld komplett, dachte Kilian. Furtwanger stellte das Glas ab, bat den Jungmanager, auf ihn zu warten, und ging auf Heinlein und Kilian zu. Er bewegte sich wie auf dem Laufsteg, stemmte eine Hand in die Taille und tippelte mit den Fingern der anderen auf dem Tresen entlang. Er war von zierlicher Statur. Hätte er die Schulterpolster nicht getragen, er wäre glatt als Minderjähriger durchgegangen.
»Was wollt ihr beiden Hübschen trinken?«, fragte Furtwanger.
Die Frage war eher rhetorisch gemeint, was Heinlein betraf. Für ihn zeigte er nicht das geringste Interesse und würdigte ihn nur eines kurzen Blickes. Sein Lächeln war falsch. Er bevorzugte offensichtlich Kilian und erwartete von ihm eine Antwort. Die Falschheit wechselte in Aufmerksamkeit.
»Du schaust mir ganz nach Caipirinha aus. Zartbitter bis süß«, sagte er und lehnte sich über die Bar.
Kilian musste schmunzeln. Wann war er das letzte Mal von einem Mann angemacht worden?
»Mir wär nach einem spanischen Brandy«, erwiderte Kilian amüsiert.
»Carlos oder Duque d’Alba?«
»Gib mir einen Primero.«
»Buon. Das passt zu dir«, sagte er keck. »Und danach?«
Kilian verbarg ein Lächeln, während er zur Seite schaute. Sein Blick traf eine junge Frau, die sich von den ausschweifenden Abenteuern ihrer Begleitung gelangweilt fühlte. Sie schlürfte an einem Halm und blickte sehnsüchtig herüber, um erlöst zu werden.
»Vergiss sie«, holte Furtwanger ihn zurück. »Sie ist noch unerfahren.«
»Ach ja?«, fragte Kilian überrascht. »Woran erkennst du das?«
»Sieh, wie sie dasitzt. Wie ein kleines Mädchen, das auf ihren Prinzen wartet. Hübsch, ja. Aber …«
»Hammers jetzt bald?«, fuhr Heinlein dazwischen, der sich reichlich unsichtbar vorkam.
»Sind Sie Ronald Furtwanger?«, fragte er ihn aufgebracht. Furtwanger drehte bedächtig seinen Kopf. »Sind Sie Donald Duck?«
Kilian kratzte sich am Auge, damit sein Kollege nicht sah, wie er grinste. Furtwanger wandte sich erneut Kilian zu.
»Zurück zum Thema …«
Heinlein hielt Furtwanger seinen Dienstausweis vor die Brille.
»Sind Sie Ronald Furtwanger?«
Genervt wandte er sich von Kilian ab: »Und, wenn’s so wäre?«
»Wenn ich dich noch einmal fragen muss, dann klingelt’s am Ohr«, drohte Heinlein und steckte seinen Ausweis zurück.
»Wenn Sie’s glücklich macht. Was wollen Sie trinken?«
»Sie haben vor knapp einem halben Jahr bei einem Münchner Händler namens Korrassow eine Feder gekauft. Ist das richtig?«, fragte Heinlein.
»Nein, natürlich nicht. Wer ist Korrassow?«
»Herr Furtwanger …«, sagte Kilian.
»Nenn mich Ronnie«, unterbrach er ihn.
»Herr Furtwanger«, führte Kilian weiter aus, »Sie haben bei Korrassow eine Feder gekauft, die Sie nicht hätten kaufen dürfen. Nur interessiert uns im Moment nicht, ob für diesen Vogel ein Einfuhrverbot besteht oder nicht. Wir wollen nur wissen, ob Sie sie gekauft haben.«
Furtwanger lehnte sich über den Tresen.
»Wenn Sie mich so fragen?«, kokettierte er mit Kilian.
»Korrassow hatte noch ein paar übrig, und bevor er sie wegschmiss, hat er eben mir eine verkauft. Bin ich jetzt verhaftet, Herr Kommissar?«
»Wozu brauchen Sie diese Feder?«, wollte Kilian wissen und überging die Frage.
»Erinnerungen.«
»Woran?«
»Unwichtig.«
»Mach endlich das Maul auf«, zischte Heinlein und packte ihn über die Bar
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