Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
der Pfeffer wächst«, fluchte Heinlein und schlug die Tür zu.
Er ging einen Stock tiefer und betrat den Sektionssaal. Karl und Ernst warteten bereits auf ihn. Auf dem Stahlbecken lagen dreizehn zum Teil verkohlte Leichenstücke, die sie der Anatomie gemäß zueinander gelegt hatten. Einige Körperteile wie das Becken fehlten.
Heinlein stellte sich provokativ neben Karl und tippelte unruhig mit dem Fuß auf.
»Können wir jetzt langsam anfangen, oder was ist?«, fragte er gereizt.
Karl und Ernst trauten ihren Augen nicht, dass Heinlein so dicht herankam. Karl nahm das Diktaphon in die Hand und begann mit seiner Arbeit.
»Untersuchung von Leichenteilen. Identität unbekannt. Beginn 13.30 Uhr. Anwesend sind …«
11
Als Kilian ins K1 zurückkam, war Heinlein noch nicht da. Sabine sagte ihm, dass er noch in der Rechtsmedizin bei einer Obduktion sei.
»Hat er die Liste bekommen, die ich ihm gefaxt habe?«, fragte Kilian mürrisch.
»Bekommen, gesehen und in Arbeit«, erwiderte Sabine freundlich.
»Und wer macht die Arbeit, wenn Heinlein nicht da ist?«
»Kollege Schneider. Soll ich ihn rufen?«
»Nein. Lassen Sie.«
Kilian schloss die Tür und setzte sich an seinen Schreibtisch. Die ganze Autofahrt von München bis nach Würzburg hatte er über Susannes Absage nachgedacht. Was würde aus ihm werden, wenn sie ihm nicht helfen würde? Wie schnell wurden aus ein paar Wochen Monate, ein Jahr, vielleicht mehrere? Darauf wollte er nicht warten. Zum Schluss gefiele es ihm in Würzburg auch noch. Nein, gegen diese schleichende Vernebelung musste er etwas unternehmen.
Auf Heinleins Tisch lag eine Mappe, auf der Tiepolo stand. Er griff hinüber und holte sich die Akte. Er öffnete sie und fand obenauf das Sektionsprotokoll. Dahinter waren die Zeugenaus- sagen der Handwerker, der Ehefrau, des Erkennungsdienstes, der Bericht des LKA, Fotos vom Tatort und die Aussage Giovanna Pelligrinis abgeheftet. Schreibtischtäterarbeit. Das war nicht sein Ding. Er war ein Mann für die Ermittlungen. Draußen war sein Jagdgebiet und nicht hinter einem beschisse- nen Schreibtisch.
Er schlug die Mappe wieder zu. Nicht im Geringsten interessierte er sich für einen toten Wachmann. Und noch weniger für das Gesabber irgendwelcher Zeugen, die glaubten, etwas gesehen, gehört oder gar längst geahnt zu haben.
Kilian lehnte sich erschöpft zurück. Er dachte ans Meer, an die Sonne, an stinkende kleine Gassen in den Hafenstädten, an Fisch und Wein, an das Geplapper feixender Händler, an einen Espresso in einem kleinen Café, an wunderschöne, dunkelhaarige Italienerinnen, an Genua, und er dachte an Giovanna. Sie war aus Genua. Oder war es Venedig?
Kilian erhob sich und schlug die Akte auf. Er blätterte, bis er Giovannas Aussage fand:
Angaben zur Person: Pelligrini, Giovanna, geboren 25.1.1964 in Venedig, Beruf: Kunsthistorikerin und Restauratorin. Wohnhaft: Heilerstraße 19, 81679 München. Familienstand: Ledig. Grund des Aufenthaltes in Würzburg: Aufzeichnungs- und Restaurierungsarbeiten am Deckenfresko von Giambattista Tiepolo in der Residenz zu Würzburg. Auftraggeber: Bayerische Schlösser- und Seenverwaltung in München. Adresse in Würzburg: Hotel Maritim, Zimmer 306.
Also doch Venedig, dachte Kilian. Aber sie hatte doch von Genua gesprochen. Vielleicht hatte er sich auch getäuscht. Er blätterte weiter, überflog ihre Aussage, dass sie um 8.30 Uhr wie immer in die Residenz gekommen war und Handwerker, Wachleute und Polizei getroffen hatte, dass sie im Zeitplan völlig hinten dran war und so weiter.
Was er jedoch nicht fand und wonach er eigentlich auch nicht gesucht hatte, war ihr Aufenthaltsort während der Tatzeit.
Kilian blätterte auf die erste Seite zurück und suchte die Passage. Doch er konnte nichts finden. Er nahm das Sektionsprotokoll und las, dass der vom Obduzenten bestimmte Todeszeitpunkt zwischen 22.00 Und 23.30 Uhr gelegen haben musste.
Kilian wählte Schneiders Nummer.
»Schneider«, hörte er ihn sagen.
»Hier Kilian. Ich lese gerade das Protokoll, das Sie am Tatort von der Pelligrini, Giovanna, aufgenommen haben.«
»Ja, und?«
»Ich kann nirgends eine Aussage über ihren Aufenthaltsort zur Tatzeit finden.«
»Richtig.«
»Was heißt richtig? Wo finde ich ihre Aussage dazu?«
»Nirgends, weil ich sie nicht danach befragt habe.«
»Wie bitte? Sie haben sie nicht danach befragt?«
»Steht sie unter Tatverdacht?«
»Das ist so was von egal!«, schrie Kilian. »Jeder, der nur im Entferntesten mit
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